Die Luna-Chroniken, Band 1: Wie Monde so silbern (German Edition)
Fenster oben an den hohen Wänden war mit dunkelgrüner Plastikfolie abgedeckt und tauchte den Raum in ein trübes Halbdunkel. Graue Glühbirnen hingen an der Decke, aber ihr Licht drang kaum durch die Dunkelheit.
Auf Hunderten von Betten in der großen Halle lagen bunt durcheinandergewürfelte Decken aus Spenden und Altkleidersammlungen. Sie war froh, dass sie Peony eine schöne Decke mitgebracht hatte. Die meisten Betten waren leer. Die Quarantänestation war erst in den vergangenen Wochen errichtet worden, als die Krankheit sich näher an die Stadt herangeschlichen hatte. Doch die Fliegen waren schon da und erfüllten die Halle mit ihrem Summen.
Die wenigen Patienten, an denen Cinder vorbeikam, schliefen oder starrten mit leerem Blick an die Decke. Ihre Haut war mit blau-schwarzem Ausschlag bedeckt. Diejenigen, die noch bei Verstand waren, hatten sich hinter ihren Portscreens verschanzt – der letzten Verbindung zur Außenwelt. Sie sahen der vorbeieilenden Cinder aus glänzenden Augen nach.
Medidroiden bewegten sich zwischen den Betten hin und her, verteilten Essen und Wasser, aber keiner von ihnen hielt Cinder auf.
Peony schlief. Cinder fragte sich, ob sie sie ohne die kastanienfarbenen Locken auf dem Kissen überhaupt erkannt hätte. Lila Flecken hatten sich auf ihren Armen ausgebreitet, und obwohl sie fröstelte, glänzte ihre Stirn schweißnass. Sie sah aus wie eine alte Frau kurz vorm Sterben.
Cinder zog einen Handschuh aus und legte ihren Handrücken auf Peonys Stirn. Sie fühlte sich warm und feucht an. Das dritte Stadium der Letumose.
Sie deckte Peony mit der mitgebrachten grünen Decke zu und fragte sich, ob sie sie wecken sollte oder ob es besser war, sie ausruhen zu lassen. Cinder sah sich um. Das Bett hinter ihr war leer und das auf der gegenüberliegenden Seite mit einer winzigen Gestalt belegt, die von ihr abgewandt eng zusammengerollt dalag. Ein Kind.
Cinder fuhr zusammen, als jemand sie am linken Handgelenk zupfte. Peony griff nach ihren Stahlfingern und drückte sie mit der wenigen Kraft, die ihr noch geblieben war. Sie sah Cinder bittend an. Verängstigt. Eingeschüchtert, als sähe sie einen Geist.
Cinder schluckte und setzte sich aufs Bett. Es war fast so hart wie der Boden ihres Schlafzimmers.
»Nimmst du mich mit nach Hause?«, fragte Peony mit kratzender Stimme.
Cinder erschrak. Sie legte ihre Hand auf Peonys. »Ich habe dir eine Decke mitgebracht«, sagte sie, als könne das ihre Anwesenheit erklären.
Peony senkte den Blick. Mit der freien Hand strich sie über den Brokat. Lange Zeit sagten sie nichts, bis sie einen schrillen Schrei hörten. Peony ballte nur die Fäuste, als Cinder herumwirbelte, sicher, dass gerade jemand ermordet wurde.
Vier Reihen weiter zappelte eine Frau kreischend in ihrem Bett und bettelte darum, in Ruhe gelassen zu werden. Ein gleichmütiger Medidroide wartete darauf, ihr eine Spritze zu geben. Kurz darauf kamen zwei weitere Androiden dazu und hielten die Frau fest, zwangen sie auf ihr Bett und legten ihren Arm frei für die Injektion.
Als sie bemerkte, dass Peony sich zusammenrollte, drehte sich Cinder wieder um. Peony zitterte.
»Ich werde für irgendetwas bestraft«, sagte Peony und schloss die Augen.
»Sei nicht albern«, sagte Cinder. »Die Pest ist einfach … es ist so ungerecht. Ich weiß. Aber du hast nichts Schlimmes getan.«
Sie streichelte die Hand des Mädchens.
»Sind Mama und Pearl …?«
»Sie sind furchtbar traurig«, sagte Cinder. »Wir vermissen dich alle so sehr. Aber sie haben sich nicht angesteckt.«
Peony öffnete zaghaft die Augen. Sie musterte Cinders Gesicht und Hals. »Wo sind deine Flecken?«
Cinder kratzte sich geistesabwesend am Hals, aber Peony wartete die Antwort nicht ab. »Du kannst bestimmt da drüben schlafen«, meinte sie und deutete auf das leere Bett. »Sie werden dir doch kein weit entferntes Bett zuteilen, oder?«
Cinder drückte Peonys Hände. »Nein, Peony, ich bin nicht …« Sie sah sich um, aber niemand schenkte ihnen auch nur die geringste Aufmerksamkeit. Ein Medidroide half einem Patienten zwei Betten weiter, einen Schluck Wasser zu trinken. »Ich bin nicht krank.«
Peony hob den Kopf. »Aber du bist hier.«
»Ich weiß. Es ist kompliziert. Weißt du, ich war gestern im Letumose-Forschungszentrum, und dort haben sie mich getestet … Peony, ich bin immun. Ich kann keine Letumose bekommen.«
Die Anspannung wich aus Peonys Miene. Wieder musterte sie Cinders Gesicht, Hals und Arme, als sei
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