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Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition)

Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition)

Titel: Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marissa Meyer
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Blick zu. Er ließ den Kopf hängen und starrte auf den Deckenhaufen am Boden. Tränen standen ihm in den Augen. Ihr Vater … weinte. Das war fast noch schrecklicher als die Brandwunden. Ihr zog sich das Herz zusammen und sie erstarrte, obwohl sie seinen Arm erst zur Hälfte verbunden hatte. Ihr wurde plötzlich klar, dass sie diesen traurigen, gebrochenen Mann überhaupt nicht kannte. Er war nur noch ein Schatten seiner selbst, ein Schatten des charismatischen, egoistischen und nichtsnutzigen Vaters, den sie gekannt hatte.
    Eben erst war sie wutentbrannt und hasserfüllt gewesen, jetzt tat er ihr unendlich leid.
    Was war nur geschehen?
    »Die haben mir den Schürhaken gegeben«, fuhr er mit schreckgeweiteten Augen fort, wie um ihre stumme Frage zu beantworten.
    »Sie haben dir den …? Warum?«
    »Die haben mich zu ihr geschleppt und da habe ich gemerkt, dass sie die Antworten kannte. Sie wusste alles, was die wissen wollten. Aber sie hat nur zugesehen … Sie hat ihnen nur dabei zugesehen und geweint … obwohl sie ihr immer wieder dieselben Fragen gestellt haben. Sie hat nicht geantwortet. Sie hat einfach nichts gesagt.« Er bekam Schluckauf und sein Gesicht wurde rot vor Wut. »Sie hat zugelassen, dass sie mir das angetan haben.«
    Scarlet konnte kaum schlucken, doch sie verband den Arm. Dann lehnte sie sich gegen die Matratze und fragte: »Grand-mère? Du hast sie gesehen?«
    Er warf ihr einen irren Blick zu. »Die haben mich eine ganze Woche festgehalten und dann haben sie mich laufenlassen. Weil klar war, wie wenig sie sich aus mir machte. Dass ich kein Druckmittel für sie war.«
    Ohne Vorwarnung stürzte er sich plötzlich auf Scarlet. Sie versuchte, sich aus seinem Klammergriff zu winden, aber er hielt sie an den Armen und bohrte ihr die Nägel in die Haut. »Was ist hier los, Scar? Worum geht es? Was bedeutet ihr so viel – mehr als ihr eigener Sohn?«
    »Papa, beruhig dich. Und sag mir, wo sie ist.« Ihre Gedanken überschlugen sich. »Wo ist sie? Wen meinst du mit ›die‹? Warum …?«
    Ihr Vater blickte sie voller Todesangst an. Langsam schüttelte er den Kopf und wandte sich ab. »Sie versteckt irgendwas«, murmelte er. »Ich muss wissen, was. Was versteckt sie, Scar? Wo ist es?«
    Er durchwühlte eine Schublade mit alten Baumwollhemden, die er sich offensichtlich schon einmal vorgenommen hatte. Die Haare hinter seinen Ohren waren feucht vor Schweiß.
    Scarlet hielt sich am Bettpfosten fest und setzte sich. »Bitte, Papa.« Sie wollte ihn trösten, auch wenn ihr Herz so stark klopfte, dass es wehtat. »Wo ist sie?«
    »Keine Ahnung.« Er zog die lose Fußleiste von der Wand. »Ich war in einer Bar in Paris. Sie müssen mir was in den Drink getan haben, denn ich bin in einem dunklen Raum aufgewacht, der moderig gerochen hat.« Er schniefte. »Und als sie mich rausgelassen haben, haben sie mich wieder betäubt. Eben war ich noch in dem dunklen Raum, und jetzt bin ich hier. Im Maisfeld bin ich zu mir gekommen.«
    Schaudernd knotete Scarlet den Verband zu. Sie hatten ihn hierhergebracht, an den Ort, von dem sie ihre Großmutter entführt hatten? Warum? Wussten diese Leute, dass er nur noch Scarlet hatte – dachten sie, dass sie sich um ihn kümmern würde?
    Aber das war Unsinn. Ganz offensichtlich machten sie sich keine allzu großen Sorgen um das Wohlergehen ihres Vaters. Was hatte es dann zu bedeuten? Wollten sie ihr etwas zu verstehen geben? Ihr drohen?
    »Du musst dich doch an irgendwas erinnern«, sagte sie mit einem verzweifelten Unterton. »An irgendwas in dem Raum oder an irgendeine Frage. Konntest du sie sehen? Könntest du sie einem Profiler beschreiben? Irgendein Anhaltspunkt?«
    »War doch betäubt«, sagte er schnell, aber dann zog er nachdenklich die Augenbrauen zusammen. Es sah aus, als wollte er die Brandwunden befühlen, aber dann ließ er die Hand in den Schoß fallen. »Haben dafür gesorgt, dass ich sie nicht sehen konnte.«
    Scarlet hätte ihn am liebsten geschüttelt und angeschrien. Er sollte sich konzentrieren! »Haben sie dir die Augen verbunden?«
    »Nein.« Er blinzelte. »Ich hatte viel zu viel Angst, um sie anzusehen.«
    Tränen der unterdrückten Wut brannten ihr in den Augen. Scarlet legte den Kopf in den Nacken und versuchte ruhig zu atmen. Ihre schlimmsten Befürchtungen, ihre grässlichsten Vermutungen waren wahr.
    Sie hatten Großmutter Michelle entführt. Unglaublich brutale Leute waren da am Werk. Würden sie Grand-mère ebenso misshandeln wie ihren Sohn?

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