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Die Lust des Bösen

Die Lust des Bösen

Titel: Die Lust des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassandra Negra
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ewig sein Eigentum, gekennzeichnet und gestempelt wie ein Stück Vieh. Und selbst, wenn sie wollte, würde sie es nicht so schnell loswerden. Äußerst kompliziert waren die Versuche, Tattoos mit Lasern zu entfernen, und immer hinterließen sie hässliche, rötliche Narben. Selbst wenn sein auserwähltes neues Mädchen einmal flüchten wollte, so würde man sie finden, denn das Tattoo war ein regelrechtes GPS-System.
    Der Profilerin tat das Mädchen leid. Sie hatte etwas Besseres verdient. Aber vielleicht lag Lea ja falsch. Vielleicht hatten sie sich wirklich gerade verlobt, und das Mädchen hatte einfach nur einen miesen Tag. Wahrscheinlich dachte sie schon wieder viel zu schlecht und zu negativ – immer schön in ihrem vertrauten kriminalistischen Raster.
    N ach ihrer kleinen Auszeit ging Lea mit neuem Elan ans Werk. Sie hielt die Grußkarte, die Max ihr nach seiner Generalbeichte von jenem Abend überlassen hatte, in den Händen. Alle Befragungen der Kunden, das hatte er ihr versichert, waren im Sande verlaufen. Jeder der Promis hatte ein Alibi, und niemand von ihnen hätte wirklich ein Motiv gehabt. Lea drehte und wendete das feine, weiße Stück Karton, als ob sie ihm so sein Geheimnis entreißen könnte.
    Wieder und wieder las sie die Zeilen. Aber was bedeuteten sie? »Meine Seele schmachtet nach Deiner Hilfe; ich harre auf Dein Wort! Es schmachten meine Augen nach Deiner Verheißung; sie fragen: Wann wirst Du mich trösten?«
    Wer schrieb so gestelzt? Es klang wie eine Liebeserklärung aus dem achtzehnten Jahrhundert. »Meine Seele schmachtet.«
    Was, wenn es sich bei diesem Spruch um einen Bibelvers handelte? Wer sonst würde von »Seele« und »Verheißung« sprechen? Es musste einen Zusammenhang mit Gott geben.
    Ja, das könnte eine Spur sein! Steiner sammelte doch alte Bibelausgaben. Vielleicht würde sie weiterkommen, wenn sie ihn fragte.
    Schon nach den ersten beiden Klingeltönen meldete sich ihr alter Professor am Telefon – knurrig und fast ein wenig genervt klang seine sonst so geschmeidige Stimme. Was mochte ihm wohl für eine Laus über die Leber gelaufen sein, überlegte Lea, kam dann aber ohne Umschweife zur Sache und bat ihn um die Bibel.
    »Eine Bibel? Was um alles in der Welt willst ausgerechnet du mit einer Bibel?«, fragte er zunächst ungläubig, denn er wusste nur zu gut, dass seine ehemalige Studentin eine bekennende Atheistin war. »Hat es etwas mit deinem Fall zu tun?«
    Lea bestätigte, dass sie bei beiden Opfern Grußkarten gefunden hatten, die auf einen Bibelspruch verweisen könnten. Der Täter hatte sie gemeinsam mit achtzehn roten Rosen geschickt.
    Der Wissenschaftler war neugierig geworden und erkundigte sich nach dem genauen Wortlaut des Textes. Und noch während sie ihm die Zeilen vorlas, unterbrach er sie und ergänzte: »Wann wirst Du mich trösten?«
    Die junge Ermittlerin war fasziniert: Woher hatte er das so schnell und so genau?
    Ihr Professor war ganz offenbar sehr bibelfest, ganz so, wie es seine Sammelleidenschaft vermuten ließ. Er erläuterte ihr, dass der Spruch aus einem Vers des Alten Testaments stammte: Psalm 119, 81 und 82. Jetzt wurde Lea ungeduldig und wollte unbedingt wissen, was er wohl bedeutete.
    Inzwischen hatte es sich ihr Professor in seinem Ohrensessel bequem gemacht, seine Stimme klang mit einem Mal relaxt und entspannt. Genüsslich zog er an einer Zigarre.
    Er schüttelte schmunzelnd den Kopf über seine ehemalige Studentin, sie hatte sich wirklich überhaupt nicht verändert.
    Ihre Ungeduld war noch immer eines ihrer hervorstechenden Charaktermerkmale – aber sie war gepaart mit Zielstrebigkeit, und diese Kombination war für den Erfolg äußerst vielversprechend. Deshalb hatte er bisher auch noch keine Anstalten unternommen, sie darauf hinzuweisen.
    Aber er wusste auch, dass, wie Hölderlin sagte, »die Ungeduld, mit der man seinem Ziele zueilt, die Klippe ist, an der oft die besten Menschen scheitern«. Lea musste einfach lernen, dass man bisweilen weiterkam, wenn man sich in Geduld übte.
    »Nun sag schon«, flehte sie nervös und begann in ihrer Wohnung auf und ab zu gehen.
    Doch der alte Herr ließ sie zappeln und erteilte ihr amüsiert eine Lektion.
    »Warum kommst du nicht einfach kurz rüber zum Italiener bei mir um die Ecke? Ich bringe die Bibel mit, und wir suchen gemeinsam eine Erklärung? Was hältst du davon?«
    Lea schluckte. Noch eine Stunde warten? Aber sie willigte ein, weil sie nur zu gut wusste: Mit Sam zu diskutieren brach te

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