Die Lust des Bösen
sah hinauf zur Kuppel, die, obwohl sie nach ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg nicht in ihrer vollen Höhe wieder aufgebaut worden war, stolz und mächtig die meisten der umliegenden Gebäude überragte.
Und während sie ihre Arme auf die Reling stützte, steifte ihr Blick wie zufällig ein ungleiches Paar.
Sie schien Südamerikanerin zu sein. Dunkler Teint, braune Augen, lange schwarze, blond gesträhnte Haare, die zu einem Zopf gebunden und unter einer weißen Basecap gebändigt waren. Etwa Mitte zwanzig mochte sie sein, groß, schlank, eine wunderschöne Frau. Aber so schön sie auch war, so traurig sah sie aus. Neben ihr stand ein männliches Muskelpaket, um die dreißig mit Glatze und Tattoos, die bis zu seinen Händen reichten und selbst unter dem Muskelshirt zu sehen waren.
Es war nicht einfach nur das exotische Aussehen des Mädchens oder die Tatsache, dass die beiden schlichtweg überhaupt nicht zusammenpassen wollten, nein, es war ihr Verhalten zueinander, das Leas Aufmerksamkeit erregte.
Zärtlich legte der Mann seine Arme um die Schöne und versuchte ihr immer wieder in ihre Katzenaugen zu sehen, während sie ihren Kopf wegdrehte.
Auf den ersten Blick wirkten sie wie ein Liebespaar, bei dem er den Eindruck machte, als sei er unsterblich in das Mädchen verliebt. Sie dagegen verhielt sich wie ein widerspenstiges Tier, das sich aus seinen Fängen befreien wollte.
Die Kommissarin, von Berufs wegen misstrauisch, war irritiert vom nur scheinbar harmonischen Bild der beiden.
Es wurde kühl, der Fahrwind, den sie anfänglich genossen hatte, zunehmend unangenehm. Ihr war kalt. Lea begab sich ins Innere des Bootes und setzte sich ans Fenster, gleich in die erste Reihe. Jetzt hatte sie zwar nicht mehr den wunderschönen Panoramablick wie auf Deck, aber dafür fror sie jetzt auch nicht mehr.
Sie blickte aus dem Fenster, wo das Regierungsviertel an ihnen vorbeizog. Der Reichstag, und direkt dahinter war auch schon das Kanzleramt zu sehen, das die Berliner liebevoll »Waschmaschine« nannten. Immer wieder ertappte sie sich dabei, wie ihre Gedanken abschweiften.
Sie dachte an die letzten Tage, dachte an Jack und daran, wie wütend sie auf ihn gewesen war. Aber je mehr Zeit verstrich, d esto weniger war es der One-Night-Stand mit dieser Frau, der ins Zentrum ihrer Erinnerung rückte. Mehr und mehr gewannen die Gedanken an die Glücksmomente mit ihm die Überhand. Sie erinnerte sich an ihren ersten gemeinsamen Abend im Olympiastadion, an seine Umarmung, ihren Tanz, an ihre erste gemeinsame Nacht, seine leidenschaftlichen Küsse, seinen Duft, seine Berührungen.
Sie schloss die Augen und träumte. Wie schön wäre es jetzt, wenn er sie in seine Arme schließen würde und einfach nur da wäre.
Das Hupen der Barkasse riss sie aus ihrer Träumerei. Direkt neben ihr war der Zugang zum Außendeck, und jedes Mal, wenn jemand raus- oder reinging, erfasste sie einer dieser kühlen Luftzüge.
Wieder schaute sie aus dem Fenster, und plötzlich lief das ungleiche Pärchen vorbei, weiter nach vorn. Mit ihren Blicken folgte Lea der exotischen Schönheit, die sich auf eine der Bänke setzte und noch immer so unendlich traurig aufs Wasser sah. Der Muskelmann nahm neben ihr Platz und umarmte sie.
Erst jetzt bemerkte sie, dass die Frau das gleiche Tattoo trug wie er. Allerdings nicht an den Armen, sondern nur an ihrer linken Hand. Es sah aus wie ein Karomuster der Art, wie man sie von Pullovern her kennt.
Warum nicht das gleiche Tattoo tragen, wenn man sich doch so sehr liebte? Aber ein Tattoo passte einfach nicht zu dieser Frau. Und als der Muskelmann einen Ring aus seiner Tasche zauberte und ihn an ihren Finger steckte, schien sie das in keinster Weise glücklich zu machen, wie das sonst in jedem anderen Fall gewesen wäre. Stattdessen stierte sie gleichgültig und starr vor sich hin, gerade so, als ob sie es nicht bemerkt hätte. Da packte er sie scharf am Arm, umfasste sie grob mit seinen Händen und zog sie hoch.
Er wurde laut, aber die Motorengeräusche übertönten ihn, und der Wind trug die Stimmen hinaus aufs Wasser. Nur einige Fetzen wie »bird«, »ein paar Kunden« und »schuldig« schnappte die Profilerin auf. »Bird?«
Irgendwo hatte sie es schon einmal gehört. War dieser Bodybuilder vielleicht ein Zuhälter und wollte sie nach der ersten »Liebeskasper-Phase« überreden, für ihn anschaffen zu gehen? Das würde einiges erklären. Auch das Tattoo würde dann einen Sinn ergeben. So war sie für immer und
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