Die Lust des Bösen
die Initialen des Führers – für den ersten und den achten Buchstaben des Alphabets?
Ein wenig verzweifelt stützte sie ihren Kopf auf ihre Hände und sah Sam an.
Ihr Mentor, der immer so sehr in sich ruhte, nie hektisch, fahrig oder kopflos wirkte, war ihr Anker. Von ihm konnte sie lernen, dass Geduld manchmal eben helfen konnte.
»Aber vor allem«, gab er ihr liebevoll mit auf den Weg, »sei geduldig mit dir selbst, schlafe einmal darüber, und du wirst sehen, morgen sieht vieles schon ganz anders aus.«
E ine Zeit voller Anspannung lag hinter der ehrgeizigen Kriminalistin, endlose Tage und Nächte voller Hoffnungen und mit noch mehr Rückschlägen, die ihre ganze Kraft gefordert und sie sichtlich zermürbt und ausgelaugt hatten.
Normalerweise machte Lea der Druck nicht so viel aus. Im Gegenteil, je mehr auf sie einstürmte, desto mehr lief sie zur Hochform auf. Sie brauchte diese Arbeitsatmosphäre, um wirklich gut zu sein. Denn eine ihrer herausragendsten Fähigkeiten war es, stets den Überblick zu behalten. Schon früh hatte sie gelernt, Prioritäten zu setzen, sich zu organisieren und Arbeiten auch zu delegieren.
Aber das hier – diese grausamen Morde, die sie bis in ihre Träume verfolgten und ihr mehr als nur eine schlaflose Nacht bescherten – war etwas anderes. Sie laugten sie aus, raubten ihre jede Energie und brachten sie an die Grenzen ihrer Kräfte. Am meisten wurmte es sie, den Täter noch immer nicht dingfest gemacht zu haben. Zwei Opfer, und noch immer keine heiße Spur.
Einige Male hatte sie gedacht, sie sei nahe dran. Aber dann kamen immer wieder diese Rückschläge, und die vermeintlichen Spuren verliefen im Nichts. So hatte Lea sich ihre Arbeit nicht vorgestellt. Sie fühlte sich wie eine Versagerin. Konnte sie es einfach nicht? Oder war sie nicht abgebrüht, distanziert, nicht professionell genug, dieses eiskalte Monster dingfest zu machen?
Ließ sie alles zu dicht an sich herankommen? Hatte Steiner sie nicht immer wieder davor gewarnt? War er es nicht gewesen, der immer davon gesprochen hatte, dass sich etwas von dem Unvorstellbaren und Grausamen, mit dem sie in ihrer täglichen Arbeit konfrontiert war, auch in ihrer Seele festsetzen würde? Und jetzt?
Nun schien es so weit zu sein. Es nagte an ihr, ließ ihr keine Ruhe mehr und plagte sie in den Nächten mit heftigen Albträumen.
Gut, ihr Gespräch mit Steiner hatte sie ein ganzes Stück weitergebracht – aber ein solches Stück weiter reichte einfach nicht. Und dann die Enttäuschung mit Jack, die sie sehr bedrückte … Alles kam ihr so sinnlos vor.
Lea sah blass aus und wirkte müde, als Max ihr über den Rücken strich und fragte, ob sie nicht endlich mal Feierabend machen wolle.
»Du brauchst eine Mütze voll Schlaf, glaub mir, sonst wirst du das hier nicht durchstehen. Erinnerst du dich noch daran, was du mir geraten hast, als ich so richtig down war?«
»Ja«, brachte sie müde hervor.
»Und genau das wirst du jetzt auch tun«, sagte Max.
Vielleicht hatte er recht. Vielleicht half es ihr, darüber zu schlafen – aber schon allein der Gedanke an die Nacht und daran, dass sie wieder nicht einschlafen können, sich todmüde und völlig erschöpft im Bett umherwälzen würde, machte ihr Angst.
»Fahr nach Hause, ruh dich aus und komm morgen früh mit neuen Kräften wieder ins Büro. Nur so können wir den Täter fassen«, hörte sie die gut gemeinten Worte ihres Kollegen.
»Danke für deine Aufmunterung«, antwortete sie mit leiser Stimme. Sie nahm ihre Lederjacke vom Bürostuhl, und als sie ihren Kollegen ansah, war nichts von dem Fünkchen Entschlossenheit in ihren Augen zu erkennen, das er so sehr an ihr schätzte. Max machte sich Sorgen. Sie wirkte so hoffnungslos.
Die Kommissarin trat aus dem Gebäude hinaus auf den Parkplatz, der zu dieser späten Uhrzeit nur schlecht beleuchtet war. Alles lag grau vor ihr, es war kühl geworden, und es regnete schon seit dem Morgen. Dicke Tropfen sammelten sich in immer größer werdenden Pfützen. Die Luft war nass, schwer und nebelig. Und als wäre all das nicht schon genug gewesen, bahnte sich jetzt auch noch ein dicker Wasserstrahl vom Dach des Präsidiums seinen Weg direkt in Leas Nacken.
»Scheiße!«, fluchte sie. Es kam ihr vor, als ob dieses Wetter ihre innere Verfassung widerspiegeln wollte – alles war trüb und düster.
Sie setzte ihren Helm auf, ging zu ihrer Harley, startete den Motor, der sofort seinen typischen tiefen Sound verbreitete, und bog in die
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