Die Lust des Bösen
durch den Kopf gingen, nur nichts zu vermasseln.
Doch bevor sie sich in ihre Selbstzweifel verstricken konnte, begrüßte sie der Chef des Vereins Berliner Unterwelten. Ihr Kollege fragte ihn, ob er die Leiche gefunden habe, und Lea, deren Nervosität sich allmählich legte, bat ihn, sie zum Fundort zu begleiten. Ihre Hände waren kalt, und die Feuchtigkeit in den unterirdischen Gängen tat ein Übriges. Sie fror, versuchte sich aber so gut es eben ging abzulenken.
»Vielleicht«, fragte sie Carlson, »können Sie uns ja auf dem Weg dorthin noch etwas über diesen Ort erzählen?« Sie hätten gehört, dass es sich um einen ehemaligen Bunker von Hitler handeln solle.
»Was genau war das für ein Bunker?«
Obgleich sie sich über so lange Zeit mit dem nationalsozialistischen Führer beschäftigt hatte, wusste sie doch wenig über die Bauwerke der Nationalsozialisten.
Carlson begann seine Ausführungen: »Genau genommen handelt es sich um den Fahrerbunker.«
Ja, davon hatte sie schon gehört. Es sei einer der wenigen aus jener Zeit, die noch fast vollständig erhalten waren.
Die Ebertstraße, unter der sich der Bunker befand, habe früher Hermann-Göring-Straße geheißen, erklärte der Jurist. Im Zweiten Weltkrieg sei hier das Quartier von Hitlers Wach mannschaften gewesen. Und während der Endkämpfe sei der Bunker dann auch als Munitionslager genutzt worden – vor allem für Handgranaten, Panzerfäuste und Infanteriemunition. Im Gegensatz zum Führerbunker, dessen Überreste vom DDR-Regime vollkommen zerstört worden waren, war der Fahrerbunker jahrzehntelang unangetastet geblieben. Das wusste sie immerhin.
»Vermutlich auch deshalb«, fuhr der Bunkerexperte fort, »weil der Zugang während der erbitterten Kämpfe um das Regierungsviertel durch einen Volltreffer verschüttet wurde.«
Inzwischen war Max, dem nicht entgangen war, dass seine Kollegin fror, nahe an sie herangekommen und hatte ihr seinen Mantel angeboten. Doch sie war zu stolz, nein, nein, es würde schon gehen, schließlich sei sie ja nicht aus Zucker, entgegnete Lea.
Manchmal schmunzelte er über so viel Sturheit.
Seit Beginn des Mauerbaus im August 1961 musste der Bunker mitten im Grenzgebiet gelegen haben, überlegte sie. Lange Zeit hatte sich wohl niemand wirklich für ihn interessiert.
»Erst in den Neunzigern wurde er im Zuge von Munitionsbergungsarbeiten entdeckt«, hörte sie den Unterwelten-Chef weiter erläutern, »die für das Open-Air-Konzert ›The Wall‹ durchgeführt wurden.«
»Ein Hammerkonzert von Pink Floyd damals«, rief Hofmann begeistert.
Sie erreichten den Bunker. Lea wunderte sich, warum seine Außenwand gänzlich schwarz war.
»In der Tat, ein erstaunliches Phänomen«, bestätigte Carlson.
Ursprünglich war die Wand natürlich nicht so dunkel gewesen. Erst schwarzer Rauch, der durch den Treppenzugang bis hierher gelangte, hatte 1945 während der Feuer durch die Bombeneinschläge wohl diese Patina erzeugt. Bestimmt war die gasdichte Stahltür in der Zeit, als Berlin brannte, verschlossen geblieben, denn innerhalb des Bunkers hatten sie keinerlei Rauchspuren gefunden.
»Interessant für Ihre Arbeit«, vermutete der Pensionär, »ist sicher auch, dass der Fahrerbunker an die Tiefgarage angeschlossen war, die Hitlers Fuhrpark beherbergte.« Von dort war das Benzin geholt worden, mit dem die Leichen von Adolf Hitler und seiner Frau Eva Braun verbrannt wurden. Zwei Tage später war auf die gleiche Weise mit den Leichen des Ehepaars Goebbels verfahren worden.
Gespannt hörte die Fallanalytikerin den Ausführungen zu. Ja, das konnte eine Spur sein.
»Was befindet sich nun hinter dieser Tür?«, wollte sie wissen. Kurzerhand drückte Carlson die schwere eiserne Verriegelung nach unten, sodass der Blick ins Innere des Fahrerbunkers frei war. Sie sahen einen dunklen Gang, von dem rechts und links weitere Räume des Bunkers abzweigten. Einen Moment hielten sie inne.
Dann traten sie ein und liefen den schmalen Schlauch entlang, den eigenartige Wandmalereien säumten, die auf bizarre, manchmal gar kindlich anmutende Art und Weise die NS-Ideologie verherrlichten.
Wenig später standen sie in dem mit Fresken verzierten Raum, in dem Carlson die Leiche gefunden hatte. Ein merkwürdiger Geruch schlug ihnen entgegen. Süßlich, modrig, feucht.
Einen Moment musste Lea ihre sensible Nase schützen.
Sogar der abgebrühte Kommissar, der nahezu alle unvorstellbaren Dinge gesehen hatte, war schockiert. Eigentlich hatte er
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