Die Lust des Bösen
geglaubt, dass ihn nichts mehr aus der Fassung bringen konnte. Doch es war immer wieder unglaublich, wozu ein Mensch fähig sein konnte.
Die junge Profilerin war sprachlos und musste einen aufkommenden Brechreiz bekämpfen.
Sie sahen die Leiche einer vermutlich noch jungen Frau. Mit geöffnetem Brustkorb lag sie vor ihnen. An der Stelle, an der normalerweise das Herz war, klaffte ein riesiges Loch.
Dann, als ihre Blicke weiter zum Kopf der Leiche wanderten, sahen sie das Unvorstellbare: Der Schädel war geöffnet und das Gehirn entfernt worden. Die Augen waren merkwürdigerweise noch immer in ihren Höhlen und baumelten dort an dünnen Fäden.
Als Erster fand der Kommissar seine Sprache wieder.
»Schau mal hier«, wandte er sich an seine blasse Kollegin und zeigte auf zwei Gefäße. »Offensichtlich hat der Täter das Herz und das Gehirn der Frau konserviert.«
Max öffnete eines der Gläser und roch daran. Schnell zog er seine Nase wieder zurück. Der Geruch war bestialisch, und er konnte nur mit Mühe ein Würgen unterdrücken.
»Vermutlich Formalin«, mutmaßte er sachlich, »jedenfalls irgendeine von den Substanzen, mit denen man Organe konserviert.«
Auch die Rechtsmediziner und die Spurensicherung waren inzwischen eingetroffen.
»Was für eine Sauerei«, Paul Mayer war entsetzt. Doch bevor er sich näher umsehen konnte, hielt ihm der Kommissar das Glas unter die Nase. »Schau mal, Paul, ist das hier Formalin?«
Mayer war ein alter Hase. Zwanzig Jahre arbeitete er jetzt schon als Rechtsmediziner, und vor einem Jahr hatte man ihm die Leitung des Instituts angetragen. Der Gerichtsmediziner schnupperte fachmännisch und war sich sicher: Ja, das konnte nur Formalin sein.
»Es ist seit Ende des neunzehnten Jahrhunderts das am häufigsten in der Histologie eingesetzte Fixiermittel. Eine wässrige Lösung von Formaldehyd, auch unter dem Namen Formol bekannt. Die Eigenschaften von Formalin sind stark konzentrationsabhängig.
Die Reizschwelle, ab der Formalin wahrgenommen wird, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Wie man bei dir ja deutlich gesehen hat, lieber Max.« Er klopfte ihm auf die Schulter und grinste. Dann fuhr er fort: »Typisch für höhere Konzentrationen ist dann dieser stechende Geruch. Ab einer bestimmten Konzentration treibt es uns die Tränen in die Augen. Darüber hinaus hat es auf die menschliche Gesundheit vielfältige Wirkungen: Es kann zu Schleimhautreizungen, Augenreaktionen, Hautentzündungen, Allergien, Hirnschäden oder Nervenschädigungen führen, und dann ...«
»Danke, Paul, das reicht«, unterbrach der Kommissar die enthusiastischen Ausführungen des Rechtsmediziners.
»Kannst du uns schon etwas Näheres sagen, Paul? Ist der Fundort hier im Bunker auch der Tatort?«
»Also«, erwiderte der Forensiker, »mit größter Wahrscheinlichkeit ist der Bunker hier nicht der Tatort. Die Frau hat durch die Öffnung des Brustkorbs viel Blut verloren, und eigentlich müssten sich deshalb einige Spuren von ihrem Blut auch hier auf dem Boden finden. Bis jetzt konnte ich nichts dergleichen entdecken.
Genaueres kann ich aber erst sagen, wenn ich mit meiner Verteilungsanalyse der Blutspurenmuster fertig bin. Mit ihrer Hilfe kann ich sagen, wie das Blut des Opfers auf der Oberfläche aufgetroffen ist, ob es dieser Boden war und wie es abgeflossen ist, wie es aus dem Körper gespritzt und auf der Haut verlaufen ist. Außerdem kann ich mithilfe einer DNA-Analyse klären, ob das gesamte Blut von dem Opfer oder möglicherweise einer weiteren Person stammt.«
»Können Sie uns schon eine erste Einschätzung zur Tatzeit geben?«, wollte Lea wissen, die sich inzwischen wieder gefangen hatte.
Mayer legte die Stirn in Falten. »Diese Frau hier dürfte noch keine zwölf Stunden tot sein, denn die Leichenflecken sind noch nicht sehr ausgeprägt. Präziser kann ich das erst nach der Obduktion sagen.«
»Was glauben Sie, hat das Opfer noch gelebt, als diese grausamen Taten begangen wurden?«, fragte Lea.
»Ich befürchte, ja, zumindest einige der Handlungen wurden ausgeführt, während das Opfer lebte. Aber auch hier kann ich Ihnen etwas Belastbares erst nach der Obduktion angeben.«
Lea hatte genug. Immer wieder musste sie gegen ihre aufsteigende Übelkeit und den Ekel ankämpfen, der sie übermannte. Sie musste raus hier, unbedingt. Im Gehen wandte sich an Carlson und dankte ihm für seine Unterstützung.
»Bitte hinterlassen Sie noch Ihre Telefonnummer für den Fall, dass wir noch Fragen
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