Die Lust des Bösen
bei Paderborn, widersprechen diesen Befürchtungen.«
Aber der Oberbürgermeister hatte für das Projekt Fahrerbunker einfach kein Interesse. Er glaube nicht, hatte er Carlson wissen lassen, dass sich irgendjemand dafür interessiere, wie die NS-Wachmannschaft dort gehaust habe.
Es waren diese Momente, in denen Carlson sich immer wieder dazu hinreißen ließ, emotional zu werden. Schließlich ging es um gelebte Geschichte – und zwar um das letzte Zeugnis, das letzte Überbleibsel der Reichskanzlei. Das durfte man doch nicht einfach so abtun! Aber je mehr er sich ereiferte, umso kühler wurde der Oberbürgermeister und amtierende Kultursenator: Die Bilder seien zu banal, keine Kunst, nur naive Malereien, die auf dem Mist von irgendwelchen einfältigen, treuen Vasallen Hitlers gewachsen seien.
Schade, sinnierte Carlson, dass das Stadtoberhaupt so wenig Feingefühl für all das hatte. Gerade deshalb hatte er sich einen anderen Weg gesucht: Im Senat hatte er immer mehr Mitstreiter für sein Anliegen gefunden und auch die Presse als Verbündete für seinen Kampf gewonnen. Und siehe da, was die Macht der Medien doch bewirken konnte: Nach einem Bericht der Bild-Zeitung konnte sich selbst der Oberbürgermeister dem Thema nicht mehr verschließen.
Und nun war es so weit: Carlson hatte dem Senat ein Zugeständnis abgerungen, dass der Bunker immerhin vier Wochen lang für die Öffentlichkeit freigegeben wurde. Er war sich sicher, dass das noch nicht das letzte Wort sein würde, was hier gesprochen wurde.
Gestern noch hatte einen das Wetter verzweifeln lassen, und heute brannte die Sonne unerbittlich. Es war mit dreißig Grad heiß an diesem Spätsommertag im August. Carlson stand am U-Bahnhof Potsdamer Platz und rauchte genüsslich eine Zigarette, während er auf seine Gruppe wartete. Von hier aus würden sie hinabsteigen in einen der ältesten stillgelegten U-Bahn-Schächte Berlins.
Seit mehr als zehn Jahren führte er Interessierte nun durch das Labyrinth der Berliner Unterwelten. Fast seine gesamte, knapp bemessene Freizeit, die er vor seiner Pensionierung als Richter am Landgericht Berlin gehabt hatte, war in dieses Projekt geflossen. Aber er machte es gerne, wie er immer wieder betonte. Seit seine Frau vor ein paar Jahren an Krebs gestorben war, hatte er sowieso genügend Zeit. Zeit, die er am liebsten hier mit fremden Menschen und seinem Herzensprojekt verbrachte, statt alleine zu Hause zu sein. Gerade heute bereitete es ihm besonders viel Freude, der ersten interessierten Gruppe nach seinem Triumph über den Oberbürgermeister den Fahrerbunker zu zeigen.
Hoffentlich haben sich die Besucher an die Empfehlungen des Vereins gehalten und kommen mit festem Schuhwerk und angemessener Kleidung hier an, dachte er. Oft schon hatte er es erlebt, dass die Leute zu den Touren in Sommerschläppchen, T-Shirt und kurzen Hosen erschienen. Und das bei Temperaturen, die in den Unterwelten nur etwa acht bis zehn Grad betrugen. Noch fünf Minuten würde er mit der inzwischen auf etwa zehn Personen angewachsenen, kleinen Gruppe warten, dann würden sie starten.
Carlson blickte in die Runde, und tatsächlich sah er zwei jugendliche Teilnehmer, die sich nicht an die Kleiderordnung gehalten hatten. Mit T-Shirt und Flipflops waren sie gekommen. Wie frisch aus dem Freibad. Er ging hinüber zu ihnen: »Es tut mir leid, aber in diesem Outfit kann ich Sie leider nicht mitnehmen. Kommen Sie wieder, wenn Sie entsprechend gekleidet sind.«
Die beiden Jugendlichen wurden motzig und zeigten ihm den Stinkefinger.
»Eh, Alter, das kann dir doch egal sein. Bleib mal cool.«
Der Jurist ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, und wenig später trotteten die beiden ab. Dann begrüßte er die anderen Teilnehmer.
»Ich freue mich, dass Sie sich für eines der spannendsten und gleichzeitig dunkelsten Kapitel der Berliner Geschichte interessieren. Und heute ist etwas nicht ganz Alltägliches dabei, was nicht jeder Gruppe zuteil wird: Hitlers ehemaliger Fahrerbunker ist für einige Tage zur Besichtigung freigegeben worden.
Wir werden also unsere Tour im U-Bahn-Netz beginnen und dann direkt hinüber zum Fahrerbunker gehen. Bevor wir aber starten noch ein wichtiger Hinweis: Bleiben Sie bei der Führung zusammen, versuchen Sie keine Erkundungen auf eigene Faust.
Eine Exkursion abseits der geführten und freigegebenen Route ist sehr gefährlich und kann tödlich enden. Durch die Sprengungen der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich hier unten
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