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Die Lust des Bösen

Die Lust des Bösen

Titel: Die Lust des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassandra Negra
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– auch jetzt, mehr als sechzig Jahre nach Kriegsende, seine Meinung noch nicht frei äußern. Wollte man von der breiten Öffentlichkeit nicht komplett zerrissen werden, hatte man die Spielregeln der »Political Correctness« zu beachten.
    »Okay«, rief er, »dann mal alle Mann von Bord.«
    Er schwang sich hoch von seinem Sitz, nahm seine Aktentasche und verließ als Erster den Bus. Gut gelaunt und voller Tatendrang begrüßte er Jaroslaw, den Experten für Militärgeschichte, und bedankte sich für dessen Bereitschaft, die Gruppe heute durch die Wolfsschanze zu begleiten.
    »Kein Problem, es ist ja schließlich mein Job und außerdem noch meine große Leidenschaft. Ich denke, Sie haben wirklich Glück«, bekräftigte der Historiker.
    Der Parteichef war etwas verdutzt ob einer solchen geballten Menge Selbstbewusstseins.
    Der polnische Wissenschaftler war ein großer, schlaksiger Mann mit grauen Haaren und wach blickenden Augen, dem der Schalk im Nacken saß.
    »Ich bin Historiker«, waren dann auch seine ersten Worte, die er an die Gruppe richtete, »nicht Hysteriker, meine Herren, ich bitte Sie, diesen kleinen Unterschied zu beachten.«
    Hier war er, der Zynismus, den Jack in seinen Augen erkannt hatte, und der sollte während des Rundgangs immer wieder durchblitzen.
    »Ich werde mit Ihnen jetzt einen kleinen, ganz und gar unhysterischen Rundgang durch die Wolfsschanze, Hitlers ehemaliges Führerhauptquartier, unternehmen. Folgen Sie mir und achten Sie auf die Details.«
    »Kennt jemand die Geschichte, wie es zum Namen Wolfsschanze gekommen ist?«, wollte Jaroslaw wissen. »Nein?«
    Die Gruppe schwieg.
    »Prima. Dann möchte ich Ihnen jetzt einige Theorien erläutern. Die einfachste und vielleicht auch die plausibelste ist die, dass Hitler das Pseudonym ›Wolf‹ während des Ersten Weltkriegs benutzt hatte. Viele Autoren haben sich mit diesem Thema auseinandergesetzt, weil der Begriff ›Wolf‹ auffallend oft bei der Namensgebung anderer Führerhauptquartiere Verwendung gefunden hat.«
    »Vielleicht sind Ihnen einige weitere geläufig?«, fragte er in die Runde.
    »Na klar«, sprudelte es aus Tim heraus, »wir kennen sie alle, die Wolfsschlucht, den Werwolf, den Wolfssturm und die Wolfsburg.«
    Der Wissenschaftler war beeindruckt.
    »Und kennen Sie auch die Erklärung für die auffällige Häufung des Begriffs ›Wolf‹ in den Namensgebungen?«, hakte er nach, um zu sehen, wie tief das Wissen der jungen Männer ging. Aha, dachte er, als sich niemand meldete.
    »Nun, ganz einfach«, erklärte er. »Hitler wurde nach dem Putsch vom November 1923 von den Damen der Münchner Gesellschaft gerne beim Spitznamen ›Wolf‹ gerufen.« Die Gruppe lachte. »Wölfchen«, scherzten sie, aber ihr Guide ließ sich nicht ablenken.
    Es gebe aber auch eine andere Legende, erklärte er, die besagte, dass Hitler den Begriff »Arwolf«, was »Wolf« bedeute, von seinem Vornamen Adolf abgeleitet habe.
    Interessant, dachte Jack. Ihm war diese Erklärung neu.
    »Geschichte und Geschichten«, murmelte Jaroslaw, und es sollte einer seiner meistgebrauchten Kommentare an diesem Tag werden.
    Es gab sehr viele Erzählungen, die sich um die Wolfsschanze rankten, etliche davon waren Mythen, die wenigsten waren wahr. Der Historiker haderte mit vielem – er zweifelte an der Theorie, dass Hitler Vegetarier war, war skeptisch gegenüber einigen Details, die von von Stauffenbergs Attentat überliefert waren, und wollte erklären, warum Hitler ausgerechnet hier – mitten in den Masuren – ein neues Hauptquartier hatte errichten lassen.
    »Warum die Anlage gerade hier, unweit von Rastenburg, gebaut wurde, ist bis heute nicht klar. Hat jemand von den jungen Herren eine Erklärung parat?«, fragte Jaroslaw die Gruppe.
    »Weil es hier schön ist«, scherzte Thomas, »und weil es so viel Wald und Sümpfe gibt.«
    »Also, ich denke«, Jaroslaw blieb vollkommen ernst, »dass bei der Wahl des Ortes die landschaftliche Schönheit der Gegend nur insofern eine Rolle gespielt haben dürfte, als das dichte Waldgebiet der Görlitz eine natürliche Tarnung und einen Schutz gegen die Einsicht aus der Luft sowie gegen Fallschirmlandungen bot.
    Auch die Seenkette und die Sümpfe in der Umgebung bildeten ein Hindernis gegen feindliche Bodentruppen. Möglich oder denkbar«, fuhr der Historiker fort, »wäre auch die simple Erklärung, dass der Bauingenieur Fritz Todt zu dieser Entscheidung beigetragen hat, weil seine Familie ganz in der Nähe ansässig war.
    So,

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