Die Lust des Bösen
diesem Donnerstagmorgen verließ Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg seine Wohnung in Berlin-Wannsee.
Gegen sieben Uhr sollte ein Flugzeug der Baureihe Ju 52 vom Berliner Flughafen Rangsdorf starten. Auf der Passagierliste war neben von Stauffenberg auch sein Adjutant von Haeften. Heute sollte der Oberst Hitler über die Neuaufstellung zweier Sperrdivisionen gegen die Rote Armee zur Stabilisierung der Lage an den Fronten in Ostpreußen und dem Generalgouvernement berichten.
Es war bereits das vierte Mal in diesem Monat, dass er dem Führer begegnen sollte. Zuvor hatte er ihm zweimal im Hauptquartier Berghof auf dem Obersalzberg und einmal in der Wolfsschanze Bericht erstattet.
Bei jeder ihrer Begegnungen hatte er erwogen, die Sprengladung zu zünden, aber eine Gelegenheit dazu hatte sich bisher nie ergeben.
Heute nun trug er sie in seiner braunen Aktentasche bei s ich – zwei Sprengstoffladungen mit einem chemischen Zünder.
Wegen Nebels wurde ihr Flug nach Ostpreußen um eine Stunde verschoben. Erst gegen acht hob die Maschine in Rangsdorf ab und landete schließlich zwei Stunden und fünfzehn Minuten später auf dem Flughafen bei Rastenburg. Der Oberst wies den Piloten an, sich um die Mittagszeit für den Rückflug zur Verfügung zu halten, und bestieg mit seinem Adjutanten ein bereitgestelltes Kurierauto, das sie über eine Landstraße bis zur Wache West des Führerhauptquartiers brachte. Auf dem Weg zum Bunker besuchte er noch den eingeweihten Chef der Nachrichtentruppe des Heeres in dessen Zentrale. Nach dem Attentat sollte er das Nachrichtensystem des Führerhauptquartiers lahmlegen.
Eine halbe Stunde später erreichte ihn die Nachricht, dass die für ein Uhr anberaumte Besprechung wegen des Besuches von Mussolini um eine halbe Stunde vorverlegt werden müsse. Wie später im Ermittlungsverfahren festgestellt wurde, waren es wohl diese dreißig Minuten, die über den Ausgang des Attentats entschieden.
Vor der Lagebesprechung mit dem Führer gab der Oberst an, sich noch frischmachen und das Hemd wechseln zu wollen.
Er traf auf dem Flur auf seinen Adjutanten und nahm ihn mit in das ihm zugewiesene Zimmer, damit von Haeften ihm beim Umkleiden behilflich sein könnte. Unterdessen liefen die beiden Attentäter zu Hochtouren auf. Sie begannen, die Bombe scharfzumachen: Von Haeften hielt eines der beiden Pakete mit dem Sprengstoff, und von Stauffenberg zerdrückte den dazugehörigen Säurezünder mit einer eigens für seine linke Hand präparierten Zange. Dieser Zünder sollte dann nach spätestens dreißig Minuten den Sperrdraht zerfressen und die Explosion auslösen.
Plötzlich erschien ein Oberfeldwebel in der Tür, um ihnen mitzuteilen, dass Generalfeldmarschall Keitel zur Eile mahne, weil die Lagebesprechung mit dem Führer pünktlich beginnen solle. Von Stauffenberg verzichtete wohl oder übel auf die zweite Sprengladung, durch die der Erfolg des Attentats höchstwahrscheinlich gesichert gewesen wäre.
Während von Stauffenberg mit der Bombe in der Aktentasche zur Lagebaracke ging, verließ von Haeften den Bunker, um sich um das Fluchtauto zu kümmern. Keitel und von Stauffenberg betraten den Besprechungsraum sehr spät.
Nachdem sie ihre Plätze eingenommen hatten, platzierte er die Tasche mit dem Sprengstoff unter dem Konferenztisch und verließ die Besprechung unter dem Vorwand, dringend in Berlin anrufen zu müssen.
Zu Fuß gelangte er schließlich zu dem wartenden Wagen, der ihn gemeinsam mit seinem Adjutanten zum Flughafen bringen würde. Viertel nach eins hob ihre Maschine nach Berlin ab.
In der Zwischenzeit war die Bombe detoniert. Ihre Wucht hatte den Raum völlig zerstört, nicht aber das Gebäude. Vier Personen, der Stenograf Berger, Oberst Brandt, General Korten und General Schmundt, wurden getötet, die meisten der zwanzig weiteren Anwesenden nur leicht verletzt.
Der Führer selbst hatte außer einem geschwärzten Gesicht und einem angesengten Hinterkopf lediglich Prellungen und leichte Verletzungen an den Beinen erlitten, seine zerfetzte Hose zeigte er in der nächsten Zeit als Trophäe herum. Seine Trommelfelle waren zerplatzt, wie die der meisten anderen Überlebenden, und aus seinem Körper wurden zweihundert Splitter herausgezogen. Zwei Stunden später empfing er Mussolini.
Das Ergebnis des Attentats ist bekannt: Der vorbereitete Plan der Machtübernahme unter dem Decknamen ›Walküre‹ scheiterte. Mit unvorstellbarer Grausamkeit übte das nationalsozialistische Regime
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