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Die Lust des Bösen

Die Lust des Bösen

Titel: Die Lust des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassandra Negra
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meine Herren, Sie sehen hier vor sich das Restaurant mit zwei wichtigen Einrichtungen. Wenn Sie jetzt das Bedürfnis haben, sollten Sie noch einmal dort hineingehen, bevor wir unseren Rundgang beginnen.«
    Diejenigen, die bei ihm verblieben waren, forderte er auf, einmal einen Blick auf den Lageplan der Wolfsschanze zu werfen.
    Er legte seinen Finger auf einen roten Punkt: »Unser Rundgang beginnt genau hier, am Restaurant.«
    Dort hatten damals das Hotel des SS-Begleitkommandos und die Baracke des RSD, des Reichssicherheitsdienstes, gestanden. »Und das«, sagte der Guide, würde heute ihre Strecke sein.
    »Folgen Sie mir!«
    Die Gruppe lief weiter den Waldweg entlang, der nicht etwa, wie man vielleicht vermuten könnte, geteert war, sondern sich als ein einfacher breiterer Trampelpfad gestaltete.
    Sie liefen durch einen schönen Mischwald mit Eichen, Birken und Tannen, wie sie ihn so oft auf ihrem Weg hierher gesehen hatten. Viel Laub, meist kleine gelbe Birkenblätter, lag auf dem Weg. Es war still. Die Gruppe hatte wohl diese ganz besondere Atmosphäre in sich aufgenommen.
    Selbst Robert, der bekannt war für seine große Klappe und seine flotten Sprüche, war ruhig und in sich gekehrt. Der Historiker wollte wissen, ob denn schon einmal jemand etwas davon gehört hätte, dass nach dem Krieg viele Menschen hier nach den Überresten des Bernsteinzimmers oder gar nach Gold gesucht hätten. Einige schüttelten ungläubig den Kopf. »Ist auch mehr eine Legende«, murmelte er.
    »Und hier ist sie, meine Herren, die berühmte Lagebaracke – nicht etwa Lagerbaracke –, in der Graf von Stauffenberg sein Attentat verübte.«
    Was sie sahen, waren ein paar Bodenplatten und eine Gedenktafel, mehr war nicht übrig von dem Gebäude.
    »Ich denke, die meisten von Ihnen werden die Geschichte jetzt schon zum hundertsten Mal hören, viele haben sicher auch den Film ›Operation Walküre‹ mit Tom Cruise oder die Verfilmung mit Sebastian Koch gesehen. Aber, meine Herren, es ist etwas anderes, sie im Fernsehen oder im Kino zu verfolgen, bequem mit einer Tüte Popcorn und dem gehörigen Abstand, oder hier am Ort zu stehen und Geschichte zu atmen.«
    Er bat sie, sich einmal zurückzuversetzen, während er ihnen erzählte, was damals passiert war, und zu überlegen, wer von ihnen wohl den Mut gehabt hätte, als Märtyrer in die Geschichte einzugehen, seine Familie, seine Frau und seine Kinder für immer zu verlassen, seinen eigenen Tod und den seiner Familie vor Augen.
    »Wer von Ihnen hätte wohl diesen Mut gehabt? Es ging nicht nur um das eigene Leben, sondern auch um das Leben seiner Liebsten und um das seiner Weggefährten. Aber da war eben auch die Mission – diese großartige, einmalige Chance, den Verlauf der Geschichte selbst beeinflussen und vielleicht sogar ändern zu können. Wo wären wir, wenn wir solche Männer mit Visionen und Mut nicht gehabt hätten?«
    Die Gruppe war gespannt und sichtlich bewegt. Robert fand als Erster wieder Worte und meinte, er hätte nicht den Mut aufgebracht, aber er hätte wohl auch die Notwendigkeit zum Führermord nicht gesehen. Denn das meiste von dem, was der Führer vorgehabt hatte und wofür er eingestanden war, fand er schließlich auch heute noch erstrebenswert.
    »Deshalb sind wir in die Nationalpartei eingetreten.«
    J ack war entsetzt ob dieser Äußerung, hatte er doch gehofft, etwas in den Köpfen der jungen Leute bewegt zu haben. Was nur musste noch passieren, dass sie es endlich kapieren würden?
    » Okay«, auch der Historiker wollte jetzt auf keinen Fall ihre Überzeugungen diskutieren, »lassen Sie einfach vollkommen nüchtern diesen 20. Juli 1944 Revue passieren. Vielleicht bekommen Sie während der Führung ein Gespür für die wahre Natur Hitlers und seine Bereitschaft, alles – und wirklich alles – seinen Zielen unterzuordnen und zu opfern, ungeachtet der unzähligen Menschenleben. Und ich spreche hier noch nicht einmal vom Holocaust.
    Dieser 20. Juli sollte ein heißer Tag werden. Das Deutsche Reich befand sich damals im fünften Kriegsjahr, die Zeit der Erfolge war längst vorüber. An der Westfront stießen die Westalliierten nach ihrer Landung in der Normandie im Juni unaufhaltsam vorwärts. An der Ostfront startete die Rote Armee unentwegt Offensiven und stand unmittelbar vor der Grenze des Großdeutschen Reiches. Die Lage war aussichtslos, das hatten nunmehr auch einige von Deutschlands ehedem kriegsbegeisterten Militärs begriffen. Kurz nach sechs Uhr an

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