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Die Lust des Bösen

Die Lust des Bösen

Titel: Die Lust des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassandra Negra
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wissen lassen und dies auch in einschlägigen Internetforen zum Besten gegeben. Diese und andere Vorfälle waren es, die Jack einen dringenden Handlungsbedarf signalisierten.
    Er hatte mit Robert ein ernstes Wort gesprochen und ihm unmissverständlich klargemacht, dass er von jetzt ab »auf Bewährung« in der Partei sei. Noch eine derartige Aktion, und er sei raus. Ob Robert das ernst nahm, davon war er noch nicht überzeugt. Aber er wusste jetzt, dass sich innerhalb der Partei dringend etwas ändern musste – und das konnte nur in den Köpfen seinen Anfang nehmen. Jack hatte sich diese kleine Gruppe herausgesucht, weil er der Meinung war, dass es sich lohnte, mit ihnen zu arbeiten. Sie waren bisher – bis auf Robert – weder durch Gewalt, Pöbeleien noch durch Hasstiraden gegenüber Ausländern aufgefallen. Dennoch brauchten auch sie noch eine Menge Aufklärung.
    Das Unwissen der jungen Parteigenossen war erschreckend. Bei einer Diskussion über den Führer und die Geschichte der Nationalsozialisten offenbarte sich eine erstaunliche Unkenntnis. Nur wenige wussten über die damaligen Geschehnisse und über die Hintergründe wirklich Bescheid.
    Ihm musste es gelingen, ihre Auffassung und ihre Werte zu ändern und ihnen historisches Wissen zu vermitteln. Denn nur, wenn man die Geschichte kenne, versuchte er ihnen klar zu machen, könne man sich mit den Wählern fundiert und überzeugend auseinandersetzen. Nur so könnten sie an den Wahlkampfständen vor den Bundestagswahlen, die in den Fußgängerzonen und anderswo aufgebaut wurden, überzeugend argumentieren, und nur so würden aus ihnen authentische Politiker werden. Gerade als Nationalpartei wurden sie besonders kritisch beäugt, und das nicht nur von den Wählern, sondern vor allem von der Presse. Umso mehr mussten sie genau darauf achten, was sie sagten, und noch mehr auf das, was sie taten.

Spontan hatte er dann den Vorschlag gemacht, der sofort allgemeine Begeisterung ausgelöst hatte: eine Besichtigung von Hitlers ehemaligem Führerhauptquartier Wolfsschanze.
    Na also. Er glaubte fest daran, dass es für alle eine Bereicherung sei, wenn sie nicht nur aus Büchern oder aus dem Fernsehen erfuhren, was damals passiert war, sondern live, am Ort des Geschehens, Geschichte atmen und erleben konnten. Nur so konnten sie sich schließlich eine eigene Meinung bilden.
    Nun saß er gemeinsam mit neunzehn jungen Politikern und ihrem Kreisvorsitzenden Robert im Bus und blätterte gedankenverloren in seinem Reiseführer über die Masuren, einer der schönsten Landschaften im Nordosten Polens. Sollte nicht Tim ein Kurzreferat darüber halten?
    »Hey, Tim«, rief er dem jungen Mann zu, der sich gerade lautstark mit seinem Nachbarn unterhielt.
    »Komm doch mal nach vorn, wir sind schon gespannt auf deine Ausführungen über die Masuren.«
    Tim wurde verlegen, stand auf und kam langsam und nur zögerlich nach vorn.
    »Also, ich muss leider gestehen, dass ich das Referat vergessen habe.«
    »So«, mimte Jack den Erstaunten, »das ist aber eine Überraschung. Aber kein Problem.«
    Er gab ihm seinen Reiseführer und bat ihn, der Gruppe die interessanten Infos vorzulesen.
    »Lesen wirst du ja noch können, oder?«, fragte er ärgerlich.
    Jack war sauer. Ständig musste er feststellen, dass er den jungen Leuten Aufgaben übertrug, die sie dann einfach nicht erledigten. Aber er ließ nichts unversucht, die NaNos zu mehr Disziplin und Verantwortung anzuhalten.
    Tim räusperte sich verlegen, hielt das Mikro linkisch in seiner Hand und las leise und bedächtig aus dem Reiseführer: »Im frühen Mittelalter wurde die Region von einem pruzzischen Stamm bewohnt.«
    »Also«, monierte Jack, »ein wenig mehr Leidenschaft könntest du schon zeigen.«
    Sofort erntete er johlenden Zuspruch von der Gruppe.
    Einen Moment lang schien Tim total aus dem Konzept gekommen zu sein, bis er schließlich nach der Aufforderung von Robert, lauter zu sprechen, fortfuhr.
    »Nur wenige Zeugnisse der altpreußischen Kultur und des alltäglichen Lebens sind bis heute erhalten geblieben. Die Pruzzen hatten keine Staatsstruktur gebildet, was zu ihrem Niedergang geführt hat.«
    »Hey, Tim, du bist ja wirklich ein ausgezeichneter Vorleser«, spottete Thomas.
    »Was soll das?«, entgegnete ihm Jack aufgebracht. »Wenn du es besser kannst, dann komm nach vorn. Ansonsten würde ich dich bitten, dass du dem Vortrag deines Parteikollegen zuhörst, ihm den nötigen Respekt entgegenbringst und ihn vor allem ausreden

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