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Die Lust des Bösen

Die Lust des Bösen

Titel: Die Lust des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassandra Negra
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gemacht.
    Erst jetzt verstand er, worum es ihnen ging und wie sehr sie noch immer auf die Figur des Führers fixiert waren. Sie waren dem Mythos seines Charismas und seiner vermeintlich anziehenden, hypnotisierenden Wirkung erlegen. Dieser übertriebene Führerkult und diese maßlos gesteigerte Verehrung, die sie ihm entgegenbrachten, mussten aufhören. Ein für alle Mal! Aber ein Patentrezept, wie er die Gruppe davon überzeugen konnte, hatte Jack noch nicht.
    »Kommt zurück«, bedeutete er ihnen ungeduldig, denn schließlich war es mehr als unhöflich, einfach wegzugehen. Außerdem würden sie in einigen Minuten ohnehin alle gemeinsam hierherkommen.
    »Auf geht’s!«, forderte er die jungen Männer auf, die noch immer gebannt in den Stollen starrten. Vielleicht half es, wenn er nicht nur den Führer, sondern auch diesen Ort entzauberte, und so bemerkte er fast beiläufig: »Euer Führer war weiß Gott kein dämonisches Genie, sondern nur ein mittelmäßiger Blender. Dazu passt, dass sich auch in seinen Privatgemächern nichts Aufregendes befand. Alles nur Legende!
    D ieses Schlafzimmer war Augenzeugenberichten zufolge mehr als spartanisch ausgestattet, gerade einmal zwei Bücher sollen in seinem Zimmer gestanden haben, beides Abhandlungen über Magenerkrankungen. Es war also alles gar nicht so mysteriös, wie ihr vielleicht glaubt.«
    Sollten sie sich geirrt haben? Die sieben waren verunsichert und folgten ihm wortlos. Ob es damit getan war, war allerdings fraglich.

    Es war später Nachmittag, als die Gruppe ihr kleines Hotel im Wallfahrtsort Heiligenlinde, Swieta Lipka, etwa achtzehn Kilometer von der Wolfsschanze entfernt, erreichte. Es lag gegenüber dem Gotteshaus der Jesuiten, die das Sanktuarium seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs betreuten. Einer Überlieferung zufolge verdankte Heiligenlinde seinen Namen einer Linde, die früher an diesem Ort gestanden und eine hölzerne Marienfigur beherbergt hatte.
    Der Legende nach wurde diese Figur in eine Kirche nach Rastenburg gebracht und kehrte am nächsten Tag auf wundersame Weise an ihre alte Stelle zurück. Dies soll sich mehrmals wiederholt haben. Eine andere Sage erzählt, die Figur wäre von einem Gefangenen aus Rastenburg geschnitzt worden. In der letzten Nacht vor dessen Hinrichtung soll ihm die Mutter Gottes erschienen sein und ihm ein Messer und ein Stück Holz gegeben haben mit der Anweisung, ihr Bildnis daraus zu gestalten und es in einer Linde aufzustellen.
    Die Geschichte und die Schönheit der geschnitzten Figur hatten die Richter wohl dermaßen bewegt, dass sie den Gefangenen begnadigten. Er ging und fand nach ein paar Tagen die Linde und stellte dort die Figur auf.
    Mit der Zeit breitete sich der Kult um die Wunderfigur über ganz Preußen aus, und sogar Pilger aus dem benachbarten Masowien kamen nach Heiligenlinde.
    Inzwischen hatte die verschworene Siebenergruppe ihre Zimmer bezogen.

    Eine halbe Stunde später trafen sie sich bei Peter, dem jüngsten Mitglied in ihrem Geheimkreis, und gingen ihren Plan, heute Nacht eine Séance zu veranstalten, noch einmal durch. Alle waren aufgeregt und gespannt, was wohl dabei herauskommen würde.
    Robert hatte vorgeschlagen, mal etwas Neues auszuprobieren und die Sitzung mit einem Runenritual zu beginnen. Sie würden dann blind einen mit Runen verzierten Stein aus seinem Runenbeutel ziehen, den Stein werfen und ihn betrachten. Dann würden sie gemeinsam seine Botschaft deuten.
    »Fällt also beispielsweise die Rune Jera, die mit Fortschritt, Wechsel, Bewegung verbunden ist«, erklärte Robert, »könnten wir uns die Frage stellen, ob wir uns aufraffen müssen, etwas anders zu machen, um einen Fortschritt in unserer Sache zu erzielen. Oder wir könnten fragen, was verändert werden müsste und ob es an der Zeit wäre, Bewegung in unsere Suche zu bringen. Die Rune wäre dabei unser Katalysator und würde es uns erleichtern, zu den Wurzeln unseres Seins durchzudringen. Und sie würde uns vielleicht eine neue Perspektive eröffnen, um Hitlers Geist zu erreichen. Was haltet ihr davon?«
    »Ich weiß nicht.« Paul, der in ihrer Gemeinschaft immer der Ruhigste und Besonnenste war, wirkte ganz und gar nicht überzeugt. »Ich halte nichts von dem Runen-Quatsch. Was soll das bringen?« Sicher waren einige Symbole für die Zwecke der Gruppe nützlich, aber für das, was sie heute Nacht vorhatten, würden sie ihnen nicht von Nutzen sein.
    Schnell entschieden sie sich gegen das Runenritual. Einzig die Odalrune, die

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