Die Lutherverschwörung - historischer Roman
einige Zeit in Wittenberg bleiben werde.
Sie betrachtete ihn mit forschendem Blick. Es war eine ungewöhnliche Zeit für eine Pilgerreise. Er wolle nach Santiago de Compostela, fügte Wulf hinzu, aber nun mache er in Wittenberg Station, weil der Ort bekannt sei für seine Reliquien.
»Wenn Ihr länger bleibt, gebe ich Euch das beste Zimmer zum Marktplatz hin«, bot die Frau an.
»Im Moment ist wohl nicht viel los in der Stadt?«
»Na ja, wer reist schon im Winter durch die Gegend?« Ihr Gesicht wirkte ausgezehrt, mit dunklen Ringen unter den Augen. Die Wirtin, die eine Haube trug, zeigte ihm das Zimmer, in dem mehrere Betten standen, aber Wulf war der einzige Gast. Das kam ihm sehr gelegen. Sie gingen wieder nach unten. Die Wirtin brachte Wulf einen Teller mit aufgewärmter Kohlsuppe und einen Kanten Brot. Während er am Tisch saà und aÃ, setzte sie sich zu ihm und fragte ihn ein wenig aus. Sie sei Witwe, erfuhr Wulf, und er erzählte ihr, er sei von Beruf Schreiner, genauer gesagt Kunsthandwerker und auf schwierige Einlegearbeiten spezialisiert. Seine Möbel mit Intarsien würden von Adligen gekauft. So habe er Geld zur Seite gelegt, um sich einen Jugendtraum zu erfüllen: die Pilgerfahrt ins ferne Spanien. Im Gegenzug fragte er sie über Wittenberg aus und brachte das Gespräch ohne Eile auf Luther. Ob es eine Möglichkeit gebe, den berühmten Mann persönlich kennenzulernen, wollte er wissen.
»Die Augustiner leben im Schwarzen Kloster«, sagte sie. »Aber er ist immer beschäftigt und hat nicht Zeit für jeden.« Sie beschrieb ihm den Weg dorthin.
»Kennt Ihr ihn?«
»Natürlich kenne ich den Doktor Martinus, jeder in Wittenberg kennt ihn; schlieÃlich steht er häufig auf der Kanzel.« Sie fasste Wulf am Arm und fügte hinzu: »Einen besseren Prediger können wir uns nicht wünschen.«
Eine junge Frau mit einem um den Kopf gebundenen Tuch hantierte in der Küche. Manchmal mischte sich der Knecht ins Gespräch ein. Die Wirtin erzählte von Lucas Cranach, der ein guter Freund Luthers sei. SchlieÃlich stand Wulf auf. Er wolle sich noch ein wenig in der Stadt umschauen.
Er überquerte den Marktplatz. Wittenberg gefiel ihm, ein überschaubarer Ort. Respektvoll betrachtete er die beim Markt gelegene Stadtkirche mit den hohen Zwillingstürmen. Wulf wanderte durch die Gassen. Es schneite nun stärker, und auf dem gefrorenen Boden blieb eine weiÃe Schicht liegen. Drei Mädchen spielten Fangen. Er erreichte das Schwarze Kloster und spürte, wie er unruhig wurde. Jetzt war er Luther so nah wie noch nie. Sein Jagdinstinkt erwachte. Am liebsten hätte er sofort gehandelt, noch am selben Tag.
Das Augustiner-Eremiten-Kloster hatte eine imposante Fassade mit vielen Fenstern. Dieser Orden, der als besonders streng galt, war reich, sonst hätte er sich ein solches Gebäude nicht leisten können. Wulf wusste, dass die Mönche im Leben der Stadt eine wichtige Rolle spielten; einige lehrten als Professoren an der Universität. Er musste Witterung aufnehmen! Stimmen redeten wirr in seinem Kopf durcheinander.
Dann ging er wieder in den entgegengesetzten Teil der Stadt, besah flüchtig das Schloss und die Schlosskirche. In der Nähe lag auch der Cranachhof, nach dem er sich erkundigt hatte. Wulfs Ideen waren noch etwas vage. Er spürte, dass sein Vorhaben nur gelingen konnte, wenn er Luther im privaten, häuslichen Kreis zu fassen bekam, denn zum Schwarzen Kloster würde er wahrscheinlich keinen Zutritt erhalten. Dann stand er vor der Stadtapotheke, die zum Cranachhof gehörte. Wulf hatte von der Apotheke gehört und sie in seine Ãberlegungen mit einbezogen. Ungewöhnlich, dachte Wulf, dass dieser Cranach nicht nur von seiner Malerei lebt, sondern auch von Kräutern, Tinkturen und Salben. In seinem Gepäck verbargen sich zwei Seiten, die er aus einem Kräuterbuch herausgerissen hatte. Langsam begann sich in seinem Geist der Plan zu formen â aber etwas fehlte noch.
Am nächsten Tag steuerte Wulf ohne Umweg den Cranachhof an. In der Apotheke sah er drei wartende Kunden, während der Apotheker Pulver auf eine Waagschale schüttete. Wulf durchquerte das groÃe Tor und betrat den Innenhof. Zwei Knechte wuchteten gerade schwere Säcke eine Leiter hinauf zu einem Lagerraum. Bei ihnen stand eine Frau, die die Aufsicht zu führen schien: Das musste Barbara Cranach sein,
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