Die Lutherverschwörung - historischer Roman
ich ihm auf den Zahn fühle, bleibt er wortkarg. AuÃerdem fragt er mich aus über das gesellschaftliche Leben der Stadt und über Luthers Gewohnheiten. Verstehst du, was ich sagen will, Jost? Er ist verrückt â und ist es auch wieder nicht. Manchmal habe ich den Eindruck, dass er ein Ziel verfolgt und genau weiÃ, was er will. Dann wirkt er sehr vernünftig und klar. In anderen Momenten wiederum scheint er nicht ganz bei sich zu sein.«
»Kommt er häufig zu dir?«
»Etwa jeden zweiten Abend.«
Sie beschleunigten ihre Schritte, weil es zu nieseln begann. Jost begleitete Hanna bis zum Badehaus und verabschiedete sich von ihr. Dann ging er weiter zum Schloss, wo er und seine Männer in einem Nebengebäude untergebracht waren. Der stärker werdende Regen fiel schräg gegen die Fassade. Die Wolken hingen so tief, dass sie fast den Turm der Schlosskirche berührten.
Er ging sofort in seine Kammer, die er mit seinem Stellvertreter teilte. Helmut war auch mit Jost in Italien gewesen und der Einzige, der schon bei der Ermordung Brangenbergs dabei war. Beide verband eine enge Freundschaft. Obwohl Jost sein Vorgesetzter war, nahm sich Helmut die Freiheit, manchmal deutliche Worte mit ihm zu sprechen. Jost akzeptierte das, sofern es nicht in Gegenwart seiner Männer geschah.
»Gibtâs was Neues?«, fragte Jost. Helmut saà am Tisch vor einem Schachbrett, auf dem nur noch wenige Figuren standen.
»Luther soll vor dem Kaiser erscheinen«, sagte er beiläufig und bewegte einen Läufer um zwei Felder nach vorn.
»Was?!« Jost hatte das Gefühl, ihn träfe ein Blitzschlag. Es konnte nicht wahr sein. »Ãber so was macht man keine blöden Witze«, fuhr er seinen Kameraden an.
»Ich mache keine Witze.« Helmut vergrub das Kinn in der rechten Hand und rieb sich mit den Fingern die Wange. »Wenn ich jetzt nicht aufpasse, ist der Turm in Gefahr.« Er war ein Mensch, den nichts aus der Ruhe brachte. Mit seinen vollen, leicht geröteten Backen wirkte er gute zehn Jahre jünger, als er tatsächlich war; dabei hatte er im Gegensatz zu Jost die Mitte der vierzig bereits überschritten. Seine gutmütigen Augen waren ständig in Bewegung und lieÃen erahnen, wie aufmerksam er war. Tatsächlich arbeiteten seine Gedanken blitzschnell.
Jost schätzte ihn als Ratgeber. Stand eine wichtige Entscheidung an, besprach er sie zuerst mit Helmut.
»Ich schlage dir deinen Turm gleich um die Ohren«, sagte Jost. »Willst du mich zum Narren halten?«
Helmut schüttelte den Kopf. »Luther hat eine Vorladung zum Reichstag erhalten und muss sich dort verantworten.«
Jost spürte wie sein Mut sank. Manchmal brachte die betuliche Art seines Freundes ihn zur WeiÃglut. Jost zog einen Stuhl heran und setzte sich. Er stützte die Ellbogen auf den Tisch und betrachtete die Figuren auf dem Brett, als analysiere er die Stellung. In Wirklichkeit sah er nur verschwommene helle und dunkle Flecken.
Helmut zog das Pferd vor den Turm. »Der Reichsherold ist auf dem Weg nach Wittenberg. Er wird Luther nach Worms vorladen.«
»Woher weiÃt du das, und wann wird er hier sein?«
»Er wird morgen oder übermorgen hier ankommen. Markus, der immer noch nach dem verschwundenen Mädchen sucht, hat es von einem Kaufmann erfahren.«
Eine schlimmere Nachricht konnte Jost sich kaum vorstellen. Das war der Alptraum schlechthin! Hier in Wittenberg konnte er die Situation einigermaÃen kontrollieren, auch wenn es schwierig genug war. Aber wie sollte er Luther schützen, falls er sich auf den Weg nach Worms machte? Unterwegs lauerten tausend Gefahren. Und dann erst in Worms, wo es während des Reichstags von Menschen nur so wimmelte! Falls wir ihn überhaupt begleiten, überlegte Jost. Das muss der Kurfürst entscheiden. Wenn Luther in Worms schuldig gesprochen wurde, erledigte sich der Auftrag ohnehin von selbst: Dann landete er nämlich auf dem Scheiterhaufen.
K APITEL 15
Es kam Anna vor, als sei Martha bereits seit Ewigkeiten verschwunden, dabei waren es erst drei Wochen. Vor zwei Tagen hatte der Pilger ihr einen Brief von Martha gegeben: das geforderte Lebenszeichen. Anna sah keinen Ausweg mehr. Da sie nicht wusste, wo Zainer ihre Tochter versteckt hielt, konnte nur Luthers Tod ihr Martha zurückgeben.
Anfangs hatte sie den Gedanken strikt abgelehnt. Aber je mehr Zeit verstrich, desto stärker wuchsen ihre
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