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Die Lutherverschwörung - historischer Roman

Die Lutherverschwörung - historischer Roman

Titel: Die Lutherverschwörung - historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brunnen Verlag
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Zweifel, und sie ertappte sich dabei, wie sie immer häufiger mit dem Gedanken spielte, der Forderung nachzukommen. Wenn Zainer die Wahrheit sagte, dann war es ganz leicht, ein Kinderspiel. Er hatte ihr ein Pulver gegeben, das sie in einem schwarzen Ledersäckchen verwahrte. Zuerst hatte sie es nicht nehmen wollen, aber Zainer hatte ihr die Hand hingehalten und kein Wort gesagt. Er hatte sie nur aus seinen tief liegenden, nussbraunen Augen angestarrt. In seinem Blick lag eine unglaubliche Kraft. Es kam ihr so vor, als könne er allein mit den Augen einem anderen Menschen seinen Willen aufzwingen. Da hatte sie die Hand ausgestreckt.
    Wenn es so etwas wie einen persönlichen Sündenfall gibt, dachte Anna, dann war es der Moment, als ich nachgab. Als sie das abgegriffene Ledersäckchen mit dem Pulver in ihren Fingern hielt, kam es ihr vor, als nehme ihr Leben nun eine andere Richtung. Sie hatte sich immer als eine ganz normale Frau betrachtet, aber nun schien nichts mehr »normal« zu sein.
    Seit etwa einer Woche bewahrte sie das Gift in ihrer Kammer auf. Sie hatte den winzigen Beutel, der in ihrer Truhe lag, immer vor Augen, konnte kaum noch an etwas anderes denken. Das Gift lockte wie eine bittere Medizin, die Heilung bringt … Es konnte Freiheit für Martha bedeuten – aber sie würde Schuld auf sich laden.
    Zainer verkehrte noch immer in Cranachs Werkstatt. Statt des Jesus-Bildes hatte er nun eine »Lukretia« in Auftrag gegeben. Anna selbst hatte ihre Mithilfe angeboten. Wenn das Licht am besten war – meistens vormittags – stand sie Lucas Modell. Viel Kleidung brauchte sie dazu nicht; nur ein Halsband, einen Schleier und einen langen, spitzen Dolch, den sie auf ihr Herz richtete.
    An einem Nachmittag ging Anna in die Stadt, um einige Dinge zu besorgen. Die Luft war mild und frühlingshaft, und an den Bäumen zeigten sich grüne Knospen, während die Tage länger und heller wurden. In der Nähe des Marktplatzes sah sie Zainer auf sich zukommen. »Wir wollen ein Stück zusammen gehen«, sagte er. »Es gibt Neuigkeiten. In Worms findet unter den Augen des Kaisers ein Reichstag statt, heute kam sein Herold nach Wittenberg.« Anna war überrascht; davon hatte sie nichts mitbekommen. »Luther muss nach Worms, um seine Schriften zu rechtfertigen. Ich aber will, dass er nie nach Worms aufbricht.«
    Anna ahnte, was gleich folgen würde. Der Pilger sagte: »Ich habe erfahren, dass Luther die Ostertage noch in Wittenberg verbringen und sogar predigen will. In spätestens einer Woche aber muss er aufbrechen, um dem Kaiser Rede und Antwort zu stehen.«
    Ihr Herz schien stillzustehen.
    Â»Ich habe mich lange hinhalten lassen, aber meine Geduld ist zu Ende. Wenn Ihr Eure Tochter lebend wiedersehen wollt, müsst Ihr nun handeln.«
    Sie umrundeten die Stadtkirche. Anna betrachtete sein Gesicht, während er leise sprach. Er hob den Kopf und erwiderte ihren Blick. Seine Augen machten ihr Angst.
    Â»Ich werde ihn töten«, sagte sie.
    Anna stand in der Stadtkirche vor einem Altar. Lucas Cranach hatte ihn entworfen, aber der größte Teil des Gemäldes stammte von Berthold. Kerzen brannten dort und hatten den unteren Teil des Triptychons schwarz gefärbt. Anna betrachtete Maria mit dem Jesuskind auf dem Arm. Auf dem linken Altarflügel war die Kreuzigung Christi zu sehen; dort hielt ein Mann einen Kelch in die Höhe, mit dem er das Blut Christi auffing. Die Szene wies auf das Abendmahl hin – aber irgendwie wurde sie dadurch an ihren Auftrag erinnert. Der Kelch schien das Gift zu enthalten, mit dem sie Luther töten sollte. Er hat mir nichts getan, dachte sie, aber trotzdem ist er schuld an meinem Unglück. Der Kaiser würde Luther in Worms ohnehin zum Tod verurteilen, redete sie sich ein. Also verkürzte sie lediglich sein Schicksal, ersparte ihm Folter und langes Leiden. Martha war erst sieben: Sie hatte das Leben noch vor sich.
    Wenn ihr vor einem Monat jemand gesagt hätte, sie sei fähig, einen Menschen zu töten, dann hätte sie ihn ausgelacht. Aber war es überhaupt Mord? Welche Mutter würde nicht alles tun, ihr Kind zu retten? Sie hätte für Martha ihr eigenes Leben gegeben. Bisher waren es nur Gedanken, aber eigenartigerweise wuchs mit jeder Stunde ihr Zorn auf Luther – als habe
er
ihr die Tochter geraubt.
    Anna schaute Maria direkt in die Augen. »Ich werde es tun«, flüsterte sie.

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