Die Lutherverschwörung - historischer Roman
Gehör. Wulf sollte es recht sein, so waren die Leute beschäftigt. Unbemerkt konnte er die Kathedrale betreten.
Weihrauchschwaden hingen in der Luft; am Hauptaltar und vor den Seitenaltären brannten Kerzen. Ein lateinisches Gebet erklang, dessen Worte sich formelhaft wiederholten und von den steinernen Wänden widerhallten. Wulf wählte eine der hinteren Reihen und setzte sich im Mittelschiff auf eine Bank. Zwei Bänke vor ihm knieten eine Mutter und ihre drei kleinen Söhne. Die Frau hatte die Stirn auf ihre gefalteten Hände gelegt, zwei Söhne beteten ebenfalls, während der dritte sich gelangweilt umschaute und Wulf die Zunge herausstreckte.
Wulf war überwältigt von der Pracht der Kathedrale, die man für den Reichstag noch besonders herausgeputzt hatte: Golddurchwirkte weiÃe Tücher hingen von den Säulen und Heiligenskulpturen standen auf Podesten, aus Lindenholz verfertigt und aus rötlichem Marmor. Teilweise waren es Leihgaben, die nach dem groÃen Spektakel wieder verschwinden würden. An Festtagen, so vermutete Wulf, fanden hier Messen statt, an denen sie alle teilnahmen: Kaiser Karl, der König von Böhmen, die Erzbischöfe von Köln, Mainz und Trier, Herzöge, Grafen, Kardinäle, Bischöfe und Ãbte. Vor seinem inneren Auge sah er sie in vollem Ornat Einzug halten, sah Gold und Silber und Edelsteine leuchten und hörte das Rascheln von Seide.
Momentan verloren sich die Besucher in der Weite des Raumes. Wulf hatte in seinem kurzen Schreiben von Brangenberg gefordert, dass er, falls er nicht selbst käme, jemanden schicken solle, der einen Rock mit seinem Wappen trug. Er war früh gekommen, um beobachten zu können, wer die Kirche betrat.
Ein Mann ging ein wenig gebeugt im Nebenschiff auf und ab, die Hände auf den Rücken gelegt. Auf Wulf machte er einen nervösen Eindruck, so, als sei er verabredet und warte auf jemanden. Der Mann schaute sich immer wieder um. Als er Wulf bemerkte, blickten sie sich in die Augen. Trug er ein Wappen? Er war zu weit entfernt, Wulf konnte es nicht erkennen. Sie belauerten sich gegenseitig, immer wieder schaute der Mann zu Wulf herüber, dann entdeckte er eine Frau am anderen Ende der Kirche, sie mochte Anfang vierzig sein und war ihrer Kleidung nach mit einem wohlhabenden Mann verheiratet. Die beiden trafen sich in einer Seitenkapelle und Wulf beobachtete, dass sie heimlich miteinander sprachen. Das Gotteshaus ist nicht nur ein Heiratsmarkt, dachte er, hier werden auch die Verabredungen zum Ehebruch getroffen.
Doch dann lief ein Mann mit blauem Umhang durchs Mittelschiff. Als er Wulf entdeckte, verlangsamte er seine Schritte und setzte sich auf die Bank vor ihm. Wie zufällig schlug er seinen Mantel ein Stück zur Seite, sodass auf seinem grünen Wams Brangenbergs Wappen zum Vorschein kam: ein weiÃer Pelikan auf rotem Grund.
»Ihr seid hier richtig«, sagte Wulf, und der Fremde rückte näher zu ihm heran. Reflexartig fasste Wulf an seinen Stiefel, in dem er ein Messer versteckt hielt.
Brangenberg habe ihn mit allen Vollmachten versehen, sagte der Mann, der keine Kopfbedeckung trug. Der schwarze, gepflegte Vollbart, der die untere Gesichtshälfte vollständig bedeckte, war vom gleichen Kohlschwarz wie die dichten, krausen Locken auf seinem Kopf. Sein stechender Blick beunruhigte Wulf. »Ihr könnt mit mir sprechen, als säÃe er selbst vor Euch.«
»Trotzdem möchte ich Euren Namen wissen und welches Amt Ihr bei Brangenberg ausübt.«
»Mein Name«, erwiderte der andere, »tut nichts zur Sache und ebenso wenig mein Amt, denn Ihr seht, dass ich sein Wappen trage.«
Wulf hatte in den letzten Tagen wenig geschlafen, er war angespannt und gereizt. Schon spürte er, wie ihm das Blut in den Kopf stieg. »Damit wir uns richtig verstehen«, konterte er, »ich verhandle nicht mit jedem Knecht des Bischofs ⦠und das seid Ihr für mich, solange Ihr Euch nicht zu erkennen gebt.«
Die Augen des Mannes flackerten unruhig. »Ihr redet mit keinem Subalternen, das versichere ich Euch.«
»Ihr nennt mir jetzt Euren Namen oder das Gespräch ist zu Ende, ehe es begann.« Wieder fasste Wulf an seinen Stiefel und berührte mit Daumen und Zeigefinger den harten Schaft des Messers. Er bat die Schwarze Jungfrau, ihm Geduld zu schenken; sie möge sein Handeln lenken und ihm die Kraft verleihen, diesen aufgeplusterten Emissär zu
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