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Die Lutherverschwörung

Die Lutherverschwörung

Titel: Die Lutherverschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Born
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den Tischen auf und drängten zur Tür. Anna konnte sich das Durcheinander nicht erklären, bis ein kräftiger, dunkel gekleideter Mann sich einen Weg durch die Menge bahnte. Ein Augustiner! Wie hieß der Kerl noch gleich? Man feierte ihn wie einen Volkshelden.
    Mit einem Mal kam Anna zu sich. Schlagartig empfand sie den Lärm, der ohrenbetäubend war. Die Gäste ließen Luther hochleben und er bemühte sich vergeblich um Ruhe. Anna fasste an ihren Rock, tastete nach dem Lederbeutel in der Innentasche.
    Als der Tumult sich endlich legte, hielt Cranach eine kleine Rede; anschließend dankte Luther kurz und unspektakulär. Die Gäste setzten sich an die Tische, Barbara kam in die Küche und gab ein Zeichen: Das Festessen konnte beginnen.
    Judith hatte Wein aus einem großen Krug in kleinere gefüllt, die sie den Gästen auf die Tische stellte. Jeder bediente sich selbst, nur den Ehrengästen schenkte Judith ein. Anna und Gudrun verteilten das Essen in Holzschalen: Es gab ein Mus aus dicken Bohnen mit Zwiebeln und Äpfeln vermischt, dazu geräucherte Würste; außerdem wurde eine Eierspeise gereicht und gefülltes Huhn. Als Nachspeise warteten in der Küche feine Lebkuchen, aus Honig, Mehl, Nelken, Zimt und Kardamom zubereitet.
    Während die Gäste sich über das Hauptgericht hermachten, wurde es ruhiger in der Küche. Bisher hatte Anna nicht die geringste Gelegenheit gehabt, an Luther heranzukommen. Nachdem er mit Appetit eine Wurst verzehrt hatte, machte er sich jetzt über das Huhn her. Sein Kinn glänzte von Fett, er trank vom Wein, war bester Laune und plauderte mit seinen Tischnachbarn. Kein Außenstehender wäre auf die Idee gekommen, dass ihm eine lebensbedrohliche Reise bevorstand.
    Annas Unruhe wuchs. Die Köchin reichte ihr gefüllte Schüsseln, die sie in den Gastraum hinübertrug und gegen die leeren austauschte. Wenn das so weiterging, würde der Abend ungenutzt verstreichen. In Gedanken war alles viel leichter gewesen.
    Luther trank immer aus demselben Becher, bemerkte Anna. Ein kleiner Krug mit Wein stand in seiner Nähe. Sobald er ein paar Schluck genommen hatte, schenkte die aufmerksame Judith ihm schon nach. Jost Gessner saß am selben Tisch wie Luther, redete aber wenig.
    Schon ordnete Barbara an, alle leeren Schüsseln wegzuräumen und die Lebkuchen zu servieren. Man stürzte sich auf die Süßspeise, die es sonst nur zu Weihnachten gab. Die Köchin durfte sich zurückziehen; von nun an wurden nur noch zwei Hilfen gebraucht. Anna gab vor, überhaupt noch nicht müde zu sein, woraufhin Gudrun die Gelegenheit ergriff und sich ebenfalls davonmachte. Nun waren Anna und Judith allein.
    Veit Stemmer, ein Mitglied des Stadtrats und Anhänger Luthers, hob einen leeren Krug in die Höhe. Judith eilte los, ihn mit Nachschub zu versorgen. Zum ersten Mal an diesem Abend war Anna allein in der Küche. Auf dem Tisch standen ein halbvoller großer Weinkrug und drei kleine, die leer waren. Nun hätte sie das Gift in einen der leeren Krüge schütten können – aber würde der richtige an Luthers Tisch landen? Und wie konnte sie verhindern, dass ein anderer davon trank? Judith kam in die Küche. Sie musste die kleinen Krüge aus dem großen nachfüllen.
    Die Eingebung, was sie zu tun hatte, kam Anna blitzartig. Es war, als sei ihr der Gedanke von außen zugeflogen.
    »Warte, ich helfe dir!«
    »Nein, nein, nicht nötig, das geht schon.«
    Aber Anna achtete nicht auf Judiths Worte, griff nach dem großen Krug und zerrte ihn Judith förmlich aus der Hand – dabei stellte sie sich so ungeschickt an, dass der Wein nicht im kleinen Krug landete, sondern auf Judiths Rock und Schürze.
    »Um Gottes Willen! Was hast du gemacht?« Judith schaute an sich herunter: Anna hatte ihr den halben Krug übergegossen, sogar Judiths Strümpfe schwammen in der roten Flüssigkeit, auf dem Boden bildete sich eine Lache.
    »Das tut mir leid«, sagte Anna und gab sich Mühe, beschämt zu wirken. »Ich wollte dir nur helfen.«
    »Auf solche Hilfe kann ich gern verzichten!«
    Barbara Cranach kam in die Küche. »Was ist das für ein Lärm?« Sie sah, was geschehen war. »Judith, geh in deine Kammer und zieh dich um. Wasch das sofort aus.«
    »Aber da ruft schon wieder jemand nach Wein.«
    »Es war meine Schuld«, sagte Anna. »Ich wollte helfen und habe dabei den Wein verschüttet.«
    »Darüber werden wir morgen noch reden. Judith, du gehst jetzt! Anna – übernimm den Ausschank! Wenn noch jemand etwas essen will, musst du dich auch darum

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