Die Lutherverschwörung
»Ich arbeite für den Kurfürsten Albrecht von Brandenburg und bin in Mainz für das Zeughaus verantwortlich. Für unsere Bürgerwehr möchte ich Armbrüste kaufen. Wisst Ihr jemanden in Worms, der welche herstellt?«
»Selbstverständlich«, erklärte der Alte. »Michael Bärenreiter ist der richtige Mann für Euch.«
Wulfs Herzschlag beschleunigte sich. Ob Bärenreiter eine eigene Werkstatt besitze?
»Nun ja, ich habe sie nie mit eigenen Augen gesehen. Doch man sagt, sie sei gut ausgestattet und das Geschäft floriere.«
»Wo kann ich ihn finden?«, fragte Wulf.
»Geht zum Fischmarkt, von dem die Wollgasse abzweigt. Dort fragt nach ihm. – Wie war noch gleich Euer Name?«
Doch Wulf war schon im Gedränge verschwunden.
Beim Fischmarkt legte er eine Pause ein, weil der Hunger zu mächtig wurde. Wie gut, dass während des Reichstages die Läden länger geöffnet waren! Bei einem Bäcker kaufte er einen Laib Brot und beim Metzger nebenan eine große Wurst. Wulf stellte sich ein wenig abseits und fiel gierig über beides her. Er grub seine Zähne in die harte Kruste des Brotes und in die fettige Wurst. Als ein Mädchen vorbeikam, fragte Wulf nach dem Haus von Michael Bärenreiter. Das Kind deutete auf ein Gebäude, das gleich am Anfang der Wollgasse lag, man konnte es vom Fischmarkt aus schon sehen. Weil es dort keine Gasthäuser gab, ebbte der Menschenstrom in dieser Richtung etwas ab, was Wulf sehr gelegen kam.
Die Gebäude in der Wollgasse waren schmal und hoch und grenzten direkt aneinander. Bärenreiters Haus unterschied sich wenig von denen in der Nachbarschaft, es zeugte von bescheidenem Wohlstand. Seine Fensterläden waren geschlossen, bis auf einen im ersten Stockwerk; dort konnte Wulf hinter den fast blinden Glasfenstern Lichtschimmer erahnen. Ein Schatten, der zu einem Mann mit massivem Körperbau gehörte, wanderte über die Scheiben – und verschwand gleich wieder.
Wulf wollte nicht zu lange stehen bleiben, um keinen Verdacht zu erregen, daher setzte er seinen Weg fort, kehrte aber am Ende der Gasse wieder um. Als er zum zweiten Mal am Haus vorbeikam, öffnete sich gerade das Fenster im Obergeschoss. Ein kahlköpfiger Mann mit immens breiten Schultern leerte Wulf den Inhalt eines Nachttopfs direkt vor die Füße. Hätte er sich nicht im letzten Moment zur Seite gedreht, hätte ihn die Ladung im Gesicht erwischt.
Wulf schrie vor Wut auf, und der Mann, bis auf den fehlenden Pelz tatsächlich einem Bären nicht unähnlich, entschuldigte sich – wenn auch etwas halbherzig. Wulf überwand den ersten Schrecken, riss sich zusammen und beschloss, aus der Situation Gewinn zu ziehen. Er zwang sich sogar zu einem Lächeln. Ob das die übliche Art sei, wie man in Worms Gäste begrüße?
Der Bär griff seinen scherzhaften Ton auf. »Manche schmeißen wir auch in ein Fass mit Jauche«, knurrte er vergnügt. »Wir nennen das: einen Kurpfälzer Trunk nehmen.«
Wulf folgerte, dass die Kurpfälzer in Worms keine hohen Sympathien genossen. Er erinnerte sich dunkel, von heftigen Fehden und kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen beiden Parteien gehört zu haben. »Wenn ein Kurpfälzer im Fass liegt«, erwiderte er, »trifft es nie den Falschen.«
Der Bär bekam einen Lachanfall, und von diesem Moment an war alles ganz einfach. Nachdem sie einige boshafte Bemerkungen über die Kurpfalz im Allgemeinen und die Kurpfälzer im Besonderen ausgetauscht hatten, sprachen sie über den Reichstag. Wie erwartet fragte der Bär, wo Wulf herkomme und was er von Beruf mache.
Nun spielte er seinen entscheidenden Trumpf aus und präsentierte sich als Fachmann für Armbrüste. Das Herz seines Gesprächspartners schmolz sofort dahin, und er lud Wulf ein, doch ins Haus zu kommen. Dieser ließ sich nicht zweimal bitten. Ein schwerer Riegel wurde zurückgeschoben, die Haupttür öffnete sich, Bärenreiter legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter und geleitete ihn hinein. Sie betraten die gleich rechts vom Eingang liegende Werkstatt. Wulf schaute sich gespannt um.
Es hätte schlimmer kommen können, musste er zugeben, aber eben auch besser. Bärenreiter stellte offenbar Durchschnittsware her, gehobenen Ansprüchen konnte das nicht genügen. Kein Vergleich zu Wulfs eigenen Produkten! Aber ein Stümper war er auch nicht, mit geübtem Blick erkannte Wulf, dass die wichtigsten Werkzeuge zur Bearbeitung von Holz und Metallen vorhanden waren. Wohlgeordnet hingen sie in Halterungen an der Wand oder lagen auf Werkbänken.
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