Die Lutherverschwörung
Zeigefinger auf den dunklen Fleck unterhalb des Auges. »Er denkt, er kann mich behandeln wie ein Tier.«
»Warum hat er dich geschlagen?«
»Weil ich mich nicht einsperren lasse. Und für das, was er getan hat, wird er bezahlen. Er denkt, ich habe ihm verziehen, und weiß nichts von meinem Hass. Wir hassen denselben Mann!«
Anna glaubte ihr; falls sie Jutta falsch einschätzte, setzte sie durch ihre Offenheit ihr Leben aufs Spiel. »Weißt du von der Entführung?«, fragte Anna.
»Ja, aber Brangenberg weiß nicht, dass ich es weiß.«
»Und weißt du auch, dass er einen Mann beauftragt hat, Luther zu töten?«
»Ich sah ihn kurz: ein sehr klein gewachsener Mann, fast ein Zwerg.«
»Ich glaube, er ist in Worms«, sagte Anna.
Jutta nickte. »Ich weiß, dass er in Worms ist – denn er hat mit Brangenberg Kontakt aufgenommen.«
KAPITEL 32
Wulf saß im Schoß der Familie und löffelte die Morgensuppe. Besonders der Großvater faszinierte ihn, der, wie er mittlerweile wusste, aus Polen stammte, was seinen leichten Akzent erklärte. Er hieß Wladislaw, hatte früher die Geschäfte geführt und den Wohlstand der Familie begründet. Heute schien sein Lebensinhalt darin zu bestehen, das Geschehen um ihn herum zu kommentieren. Dabei nahm er kein Blatt vor den Mund, und er würzte seine Randbemerkungen so kräftig, dass es ihn munter und bei Laune hielt. Trotz seiner Bissigkeit zahnlos, schlürfte der Großvater genüsslich und lautstark die heiße Suppe.
Sie saßen zu zehnt im Erdgeschoss an der großen Tafel, die Wulf immer an den Schweinebraten erinnerte, den man ihm vorenthalten hatte. So sehr er sich auch um die Gunst der Hauswirtin bemühte, er hatte schnell erkannt, dass Sparsamkeit ihr prägender Charakterzug war. Sie sparte zum Beispiel gern am Kerzenlicht, und so saß man meistens im Dunkeln.
Nachdem Wulf für eine Woche im Voraus gezahlt hatte, genoss er sogleich besseres Ansehen; das ging so weit, dass ihm die Hauswirtin heute den Suppenteller persönlich auf den Tisch stellte – eine hohe Auszeichnung. Er durfte sogar neben ihr sitzen, und sie kamen ins Gespräch. Wulf lobte die dünne Suppe, der es obendrein an Salz fehlte.
»Es freut mich, dass es Euch schmeckt«, meinte sie, »solche Gäste hat man gern.«
»Euer Mann ist wohl häufig tief in Gedanken versunken«, fragte Wulf leise, denn der gute Siegfried saß am anderen Ende der Tafel, den Kopf weit nach vorn gebeugt, sodass die Nase fast im Teller hing. Am Geschehen um ihn herum nahm er wenig Anteil. Drei Kinder saßen mit ihnen am Tisch und drei Bedienstete.
»Ob es sich dabei um Gedanken handelt«, erwiderte sie, »das möchte ich nicht entscheiden.«
»Nun, er wirkt zumindest abwesend«, meinte Wulf.
»Das trifft die Sache schon besser.«
»Was habt ihr da miteinander zu füstern?«, mischte sich der Großvater ein, dem nichts entging.
»Wir flüstern gar nicht«, erwiderte die Hausfrau, »aber du bist halb taub.«
Der Großvater lächelte boshaft: »Nur das, was ich nicht hören soll, das höre ich leider immer noch, nicht wahr?«
»Vor allem«, sagte Clothilde, »bist du ein Meister darin, anderen das Wort im Munde zu verdrehen.«
Wladislaw legte seinem Sohn die Hand auf den Unterarm. Seine liebe Hausfrau sei ja bereits bester Laune. Was er denn mit ihr gemacht habe?
Trotz der Dunkelheit sah Wulf, dass aus Siegfrieds Bart ein offener Mund hervorschaute. »Was ist los?«, fragte er.
Zwei der Kinder schauten sich an und kicherten, aber Clothilde befahl ihnen, den Mund zu halten. Die wehrten sich, sie hätten doch gar nichts gesagt. »Und der Großvater«, fuhr die Hauswirtin fort, »kann sich seine ewigen Bemerkungen über unsere Ehe sparen. Schließlich hat er seine Frau früh genug ins Grab gebracht.«
»Lass mal bloß die Marianne aus dem Spiel … altes Lästermaul!« Die Stimme des Großvaters klang jetzt verärgert. Wenn er eine Frau wie sie geheiratet hätte, läge er seit zehn Jahren im Grab, aber darauf warte man ja nur. Aber er bleibe ihnen noch eine Weile erhalten.
Wulf löffelte schweigend, während man Freundlichkeiten austauschte. Seine Gedanken schweiften ab, denn er musste die Armbrust erproben. Streng genommen, genügte sie seinen Ansprüchen nicht, aber da er unter Zeitdruck stand, hatte er vorgefertigte Teile übernommen, die in Bärenreiters Vorrat lagen, und einiges daran geändert. Aber er hatte mit der Waffe noch nicht geschossen, und das musste heute noch geschehen. Außerdem war er abends im Dom
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