Die Lutherverschwörung
unverwechselbar. Sie scheint mich nicht zu bemerken – oder tut sie nur so?«
»Ist sie immer noch Brangenbergs Geliebte?«, fragte Anna.
»Ich habe nichts Gegenteiliges gehört, er soll sich für sie in Unkosten gestürzt haben. – Aber sieh nur, unser fast ertrunkener Söldner läuft immer noch hinter uns her. Allerdings traut er sich nicht, uns anzusprechen.«
»Umso besser. – Dass Brangenberg seine Geliebte mit nach Worms gebracht hat, finde ich dreist.«
»Ich kenne die hohen Herren, Anna, und hatte auch schon mit Bischöfen zu tun; mich wundert nichts. Aber ich muss los zum Dom und nach meinen Jungfrauen schauen, wir sehen uns später.«
Hanna setzte ihren Weg geradeaus fort Richtung Rathaus und Dom, Anna hingegen bog nach links ab und folgte der Geliebten des Bischofs, die zielstrebig durch die bevölkerten Gassen lief und einen Laden nahe beim Fischmarkt ansteuerte. Dort betätigte sie den Klopfer an einer schmalen Holztür und verschwand im Inneren. Anna stand eine Weile vor dem Fachwerkhaus, das mit jedem Stockwerk nach vorne kragte. Wie sollte sie weiter vorgehen? Kurz entschlossen klopfte sie ebenfalls an die Tür und betrat den Laden.
Innen herrschte Halbdunkel. Es roch muffig und staubig, ungebundene Papierstapel füllten Wandregale. Brangenbergs Geliebte und ein kleiner Mann mit großen, abstehenden Ohren standen bei der Ladentheke, auf der ebenfalls Papierbögen lagen. Der Ladenbesitzer blätterte in einem Druckwerk, das er der Frau anpries, Papier knisterte und raschelte. Im Hintergrund stand die Tür zu einem Lager offen, in dem mit Papier gefüllte, dickbauchige Fässer lagen oder standen. Die beiden schauten kurz auf und setzten dann ihr Gespräch fort.
Anna hielt sich im Hintergrund und gab vor, sich für die Papierstapel in den Regalen zu interessieren. »Das ist alles schön und gut«, hörte sie die Frau im grünen Kleid sagen, »aber ich will Schriften von Luther selbst.«
Der Buchhändler, dessen Gesicht mit Narben übersät war, die wahrscheinlich von einer Kinderkrankheit stammten, wand sich ein wenig. »Wie Ihr wisst«, sagte er, »muss er sich morgen vor dem Kaiser verantworten. Und solange die Angelegenheit nicht entschieden ist …«
»Ach«, sagte die Frau, »ziert Euch nicht so. Ich zahle Euch einen guten Preis, außerdem kann ich schweigen.«
»Wahrscheinlich werden seine Schriften bald verboten sein«, sagte der Mann und schaute in Annas Richtung.
»Das macht sie umso wertvoller – und ich bin nicht kleinherzig.«
Anna spürte, dass sie eingreifen musste. »Und macht Euch meinetwegen keine Sorgen«, erklärte sie. »Ich bin eine Anhängerin Luthers und komme aus dem gleichen Grund zu Euch wie diese Frau.«
»Dann gesellt Euch zu uns«, sagte Brangenbergs Geliebte. Anna trat zu den beiden an die Theke.
»Wartet einen Moment«, rief der Buchhändler und verschwand im Nebenraum, während die beiden Frauen, die etwa im gleichen Alter sein mochten, sich musterten. Selbst im kargen Licht, das schräg durch zwei winzige Fenster fiel, wirkte das Haar von Brangenbergs Mätresse weich und samtig und war so glatt, dass es an manchen Stellen bläulich glänzte; ein Hauch von Rosenwasser wehte zu Anna herüber. Schlechten Geschmack, so fand sie, konnte man dem Bischof nicht vorwerfen. Im Hintergrund hörte man das Quietschen einer Schranktür.
»Habt Ihr bereits etwas von Luther gelesen?«, fragte die Frau im grünen Kleid. Aus der Nähe bemerkte Anna unter ihrem rechten Auge einen dunklen Flecken wie von einem Stoß.
»Die Thesen«, sagte Anna, deren Inhalt sie kannte, weil Lucas Cranach sie einmal laut allen Angehörigen seines Haushalts vorgelesen und sogar erläutert hatte.
»Ihr stammt vermutlich nicht aus Worms?«
»Ich komme aus Wittenberg.«
»Aber dann kennt Ihr Luther bestimmt persönlich.«
Anna zögerte kurz. Wie viel durfte sie verraten? Aber diese Frau war eine Anhängerin von Luther. »Er war schon bei uns zu Gast.«
»Was für eine Überraschung!« Die Frau streckte Anna die Hand entgegen; ihr Händedruck war angenehm. »Ich würde Euch gern näher kennenlernen.«
Der Buchhändler kam mit Papierbögen zurück, die diskret in einem Fach unter der Ladentheke verschwanden; nachdem er nochmals zur Tür geschaut hatte, zog er eine schmale Schrift hervor, fasste sie oben und unten mit Daumen und Zeigefinger an und hielt sie den Frauen entgegen.
»Von der Freiheit eines Christenmenschen«, sagte er.
»Ich habe davon gehört. Was ist der Inhalt dieser
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