Die Lutherverschwörung
allerdings waren ihm die Hände gebunden, weil Luther sie oft einfach in seine Stube lud, ohne auf Bedenken Rücksicht zu nehmen – oder er traf sich mit ihnen in einem kleinen Saal, den man ihm zur Verfügung gestellt hatte. Josts Gedanken wurden dunkler und ebenso seine Stimmung, bis einer seiner Männer kam und sagte, dass eine Frau ihn sprechen wolle. Jost ging ins Erdgeschoss und sah in der Vorhalle Anna stehen.
Sie bat um ein Gespräch unter vier Augen. Jost beorderte zwei zusätzliche Wachleute in Luthers Nähe, dann gingen sie ins Freie und fanden hinter dem Dom bei der Stadtmauer eine Ecke, wo sie sich ungestört unterhalten konnten.
Sie wisse jetzt bestimmt, dass Wulf in der Stadt sei, sagte Anna und berichtete ihm von der Begegnung mit Jutta. »Wulf Kramer hat mit Brangenberg Kontakt aufgenommen.«
Jost war überrascht, weil er nicht damit gerechnet hatte, dass Wulf ein so hohes Risiko eingehen würde.
»Er fordert ein Treffen mit Brangenberg oder einem Bevollmächtigten. Offenbar hat er eine Vorauszahlung bekommen und will jetzt den Rest des Geldes.«
»Wann und wo soll das Treffen stattfinden?«
»Das steht noch nicht fest, aber ich werde es hoffentlich erfahren.«
»Können wir seiner Geliebten vertrauen?«
»Davon bin ich überzeugt. Ich treffe mich gegen Abend mit ihr.«
»Bitte gib mir sofort Bescheid, sobald du Näheres weißt. Alle meine Leute werden in Bereitschaft sein, du findest uns im Johanniterhof.«
Jost bemühte sich, die schwarzen Schatten zu verscheuchen. Die Neuigkeiten gaben ihm neue Hoffnung; außerdem freute er sich über Annas Nähe.
»Spalatin war eben bei Luther«, sagte er. »Er ist die rechte Hand des Kurfürsten und außerdem ein Vertrauter Luthers, weshalb er zwischen den beiden vermittelt. Ich habe die Gelegenheit genutzt, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln.«
»Worüber habt ihr gesprochen?«
»Ich bekomme Friedrich nur selten zu Gesicht, und deshalb setze ich darauf, dass Spalatin ein gutes Wort für mich einlegt. Wir haben kürzlich bei einem Fest zusammen gebechert, deshalb kenne ich ihn ganz gut. Ich habe ihm erzählt, dass ich älter werde und nicht bis in alle Ewigkeit meinen Kopf hinhalten kann. Er hat Verständnis gezeigt und will ein gutes Wort für mich einlegen, damit ich den Posten bei der Bürgerwehr bekomme – wenn das hier vorbei ist.«
Anna lächelte, legte ihre Hände um seinen Hals und küsste ihn. »Es wird bald dunkel. Ich muss los und hören, was Jutta berichtet.«
»Ich habe immer noch Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit. Hoffentlich stellt sie uns keine Falle.«
»Sei unbesorgt, sie hasst Brangenberg und will ihm schaden – deshalb unterstützt sie uns!«
Jost ging zurück zum Johanniterhof, der nur wenige Schritte entfernt lag. In der Vorhalle entdeckte er unter einer Gruppe von Männern, die auf eine Audienz bei Luther warteten, Georg von Frundsberg.
»Georg!«
»Jost!«
Frundsberg klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Sieht man dich auch mal wieder, alter Mistkerl!«
»Du weißt doch: Unkraut vergeht nicht! Aber was treibst du denn hier? Ich dachte, du bist für den Kaiser?«
»Ich kämpfe für denjenigen, der mich bezahlt. Aber was sich hier drinnen abspielt«, Georg tippte mit dem Zeigefinger gegen die Stirn, »geht niemanden etwas an.«
Jost und Frundsberg hatten schon im Schweizer Krieg zusammen gekämpft, das lag mehr als zwanzig Jahre zurück. Georg hatte viel vom Schweizer Fußvolk gelernt und nach ihrem Vorbild sogenannte »Gewalthaufen« gegründet, moderne Infanterietruppen, mit denen er sehr erfolgreich operierte. Sie hatten mit zum Niedergang des Ritterstandes beigetragen. Wenn Jost bedachte, was Frundsberg im Laufe der Jahre alles auf die Beine gestellt hatte, musste er sich selbst wie ein Versager vorkommen. Sie wechselten ein paar Worte über die alten Zeiten, danach ging Jost hinauf in den ersten Stock. Seine beiden Männer standen vor Luthers Tür, von drinnen hörte man gedämpfte Stimmen.
»Wer ist bei ihm?«
»Der Doctor.«
Jost bat seinen Kameraden, nicht in Rätseln zu sprechen, hier liefen so viele Doctores herum. »Er meint den Schürf«, erwiderte der andere Söldner. Dann ging es also um Juristisches: Hieronymus Schürf, der aus Sankt Gallen stammte, diente Luther als Rechtsberater und würde in dieser Funktion auch an der Verhandlung teilnehmen. Jost vermutete, dass er Luther Instruktionen erteilte und ihn auf den genauen Ablauf vorbereitete. Inwieweit sich Luther auf juristische
Weitere Kostenlose Bücher