Die Macht der Angst (German Edition)
Haus zu und dem, was sie darin erwartete.
Tanya stand in dem dunklen, mahagonigetäfelten Foyer. Ihr Gesicht wirkte grau, ihre Augen waren gerötet. Echte Trauer durchdrang Edies Betäubung. Ihr wurde die Kehle eng. Mit ausgestreckten Armen lief sie auf ihre Cousine zu.
Tanya wich zurück, hob trotzig das Kinn.
Fass mich nicht an
.
Das versetzte Edie einen Stich, und sie ließ die Arme sinken. Also würde es keine trauerbedingte Familienaussöhnung geben. Ihr Vater hatte ihren Status als unwürdig deklariert, und dabei würde es bleiben.
Nicht wichtig. Edie war wegen ihrer Schwester hier. Nicht, um Trost, Unterstützung oder Akzeptanz zu finden. Die anderen konnten sich zum Teufel scheren. »Wo ist Ronnie?« Die kühle Stimme, die aus ihrem Mund kam, war die eines ferngesteuerten Roboters.
»Im Wintergarten. Nett, dass du dich schließlich doch noch dazu überwinden konntest, zu kommen.«
Edie ließ das an sich abprallen. Sie stolzierte an ihrer Cousine vorbei zum Wintergarten, dem einzigen Raum im Haus, den sie mochte. Er war mit rötlichem Zedernholz verkleidet, und durch die hohen Fenster fiel Licht auf die behaglichen beigefarbenen Sofas und die cremeweißen Wollteppiche. Draußen auf dem abfallenden Rasen stand eine der beiden riesigen, prachtvoll gegabelten Eichen, die fachmännisch gestutzt war, um Tageslicht durch die Fenster strömen zu lassen.
Den Kopf schlaff in die Kissen gedrückt, lag Ronnie auf einer der Couches. Als Edie ins Zimmer trat, wandte Evelyn sich zu ihr um. Ronnie tat das nicht.
Edie wusste sofort, woran das lag, als Dr. Katz sich erhob. Ihr Magen verkrampfte sich vor instinktiver Abneigung. Er hatte Ronnie ein Sedativum gegeben.
Mit seinem runden Gesicht, dem ergrauenden Haar, der Nickelbrille und seiner tadellosen Qualifikation wirkte der Mann auf den ersten Blick harmlos. Aber er liebte es, Medikamente zu verabreichen. Stets hatte er irgendwelche Pillen zur Hand, damit die einflussreichen Menschen, auf deren Soldliste er stand, sich nicht durch Unannehmlichkeiten wie Tränen, Panikattacken, Depressionen, Nervenzusammenbrüche oder schlechte Zensuren das Leben versauern lassen mussten. Dr. Katz hatte immer eine Lösung parat. Edie konnte den Kerl nicht ausstehen. »Wie geht es ihr?«
Evelyns Mund wurde verkniffen, als sie Edies harten Ton registrierte. »Sie ruht sich aus. Sie konnte nicht aufhören zu weinen.«
»Ich habe ihr etwas gegeben, das ihr hilft, sich zu entspannen«, fügte Dr. Katz hinzu.
»Natürlich haben Sie das.« Edie umrundete die Couch und kniete sich davor. Ronnies tränenüberströmtes Gesicht war in den Kissen vergraben, sodass ihr Mund verzogen und leicht geöffnet war. Sie nahm ihre Hand und drückte sie.
»Schätzchen«, wisperte sie. »Bist du noch wach? Ich bin hier.«
Aber ihre kleine Schwester war nicht bei sich. Edie starrte sie an, hatte Mühe, ihren Zorn zu bezähmen.
»Sie hat ständig nach dir gefragt«, erwähnte ihre Tante.
»Ich hatte dir gesagt, dass ich komme«, entgegnete Edie. »Du hättest warten können.«
»Du hättest dich beeilen können«, konterte Evelyn.
»Um zu verhindern, dass er sie mit seiner pharmazeutischen Keule k . o. schlägt?«
Evelyn schnappte empört nach Luft. »Edith!«
»Ist schon gut, Evelyn«, beschwichtigte Dr. Katz sie. »Es ist ganz normal, dass sie so empfindet. Tatsächlich hatte ich damit gerechnet, dass sie feindselig reagieren wird. Zorn ist ein wesentlicher Bestandteil der Trauerarbeit. Man sollte ihn weder unterdrücken, noch –«
»Halten Sie die Klappe.« Edie barg Ronnies feuchtkalte Hände zwischen ihren eigenen. »Das muss ich mir nicht anhören. Nicht von Ihnen.«
»Edie, Sie trauern und stehen unter Schock«, sagte Dr. Katz. »Ich bin für Sie da, wann immer Sie Ihren Gefühlen Luft machen oder Ihren Tränen freien Lauf lassen wollen. Fürchten Sie sich nicht, es herauszulassen.«
»Ja, klar«, murmelte sie.
Du mich auch
. Sie versteifte sich, als er die Hand auf ihre Schulter legte.
»Entspannen Sie sich«, gurrte er. »Lassen Sie mich Ihnen etwas geben, damit Sie –«
»Wenn Sie diese Hand behalten wollen, nehmen Sie sie weg.« Obwohl Edies Ton nicht laut war, schwang etwas in ihm mit, das eine unheilvolle Stille in dem Zimmer einkehren ließ.
Dr. Katz nahm die Hand betont langsam weg. »Nun, es besteht kein Grund, auf diese Weise mit mir zu sprechen.«
»Edith!« Evelyns Stimme überschlug sich vor Entsetzen. »Was ist nur in dich gefahren?«
»Nichts«, sagte sie. »Aber es
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