Die Macht der Angst (German Edition)
zwei symmetrische Körperhälften zu haben.«
Edie wusste es zu schätzen, dass er die Stimmung aufzuheitern versuchte, aber jeder Anflug von Heiterkeit würde bei ihr direkt in einen hysterischen Nervenzusammenbruch münden. »Bring mich nicht zum Lachen, sonst verliere ich die Fassung. Und ich kann nicht vor diesen Menschen heulen.«
Bruno war verdutzt. »Aber sie sind deine Familie.«
Edie dachte an die peinliche Verlegenheit, die jede Gefühlsäußerung bei ihrer Familie stets auslöste. Die Tabletten, die sie über die Jahre geschluckt hatte, um diese unerwünschten Gefühle in Schach zu halten.
»Trotzdem. Ich kann das nicht. Es ist kompliziert.«
Ein hochgewachsener, dunkelhäutiger Mann in Uniform kam an die Fahrerseite des Wagens. Robert Fraser. Edie mochte ihn lieber als die anderen Sicherheitsleute ihres Vaters. Er war immer freundlich zu ihr, ungeachtet des Beispiels, das sein Boss und sein direkter Vorgesetzter gaben.
Robert sagte etwas in sein Walkie-Talkie. Bruno fuhr sein Fenster herunter. Der Mann spähte hinein und erkannte Edie. »Miss Parrish. Ist alles in Ordnung?«
»Soweit das unter den gegebenen Umständen möglich ist«, antwortete sie.
»Mein Beileid«, kondolierte Robert ihr.
Sie nickte. »Vielen Dank.«
Er schaute Bruno prüfend an. »Wer ist das?«
»Ein Freund von mir«, erklärte sie. »Er hat mich nach Hause gefahren.«
»Mein Name ist Bruno Ranieri. Ich werde jetzt in meine Manteltasche fassen, meine Brieftasche herausziehen und Ihnen meinen Ausweis zeigen, okay? Also werden Sie bloß nicht nervös und erschießen mich mit Ihrer SIG .«
»Tun Sie es langsam«, befahl Robert.
Bruno brachte die Brieftasche zum Vorschein, klappte sie auf und zeigte ihm seinen Ausweis. Robert studierte ihn eingehend. »Warten Sie hier«, sagte er.
Er sprach wieder in sein Walkie-Talkie, dann ging er zur Vorderseite des Wagens, inspizierte das Nummernschild und gab es durch.
Um Himmels willen. Edie lehnte sich aus dem Fenster. »Robert, kann er mich nicht einfach die Zufahrt hochbringen?«
»Ohne eine Leibesvisitation und eine Personenüberprüfung darf er nicht ins Haus«, entgegnete der Mann.
»Aber er wird nicht bleiben«, wandte sie ein. »Er wird das Haus nicht betreten.«
»Auf keinen Fall«, kommentierte Bruno trocken.
»Wirklich, es ist in Ordnung«, insistierte sie. »Er ist ein Freund. Er ist ungefährlich.«
Es folgte eine weitere gedämpfte Beratschlagung, bevor Robert nickte. Das Tor fuhr ächzend auf. Robert lehnte sich ans Fenster und schaute Bruno in die Augen. »Steigen Sie nicht aus dem Wagen«, befahl er.
Bruno rollte die Auffahrt hoch. »Es ist, als würde man ein Hochsicherheitsgefängnis besuchen«, meinte er. »Wo sind der Stacheldrahtzaun und die Kontrolltürme?«
In meinem Kopf
. Edie verdrängte diesen Gedanken. Er war nur dann die Wahrheit, wenn sie es zuließ. Als das Gebäude in Sicht kam, überlief sie ein Frösteln. Es war nie ein Zuhause gewesen, so wie das weitläufige viktorianische Anwesen in Tacoma in der Nähe des Helix-Komplexes, wo sie aufgewachsen war. Sie hatte sich mit dem modernen, gläsernen Bau, den ihre Eltern ausgesucht hatten, nie anfreunden können. Er wirkte kalt und abweisend.
Vielleicht hatte er ihren Eltern deswegen so gut gefallen.
Tiefes Schuldbewusstsein überkam sie, weil sie zu solch einem Zeitpunkt derart gehässige, würdelose Gedanken hegte. Man hatte ihr eine eigene Zimmerflucht eingerichtet, auch wenn sie nie dort geschlafen hatte. Allein ihr Badezimmer war größer als ihre gesamte Wohnung in der Northeast Helmut Street.
Und trotzdem fühlte sie sich hier so eingeengt, dass sie kaum Luft bekam.
Bruno bremste, als zwei Männer des Sicherheitsdiensts in die Zufahrt traten. Er runzelte besorgt die Stirn. »Du hast meine Handynummer, oder? Ruf mich an, falls es Probleme gibt.«
Ha. Hatte sie mit diesen Leuten jemals etwas anderes als Probleme gehabt? Edie rang sich ein Lächeln ab. »Mach dir keine Gedanken. Und sag Kev, dass ich mich bei ihm melden werde.« Was eine nette Untertreibung war. Sie würde mit Kev Larsen ein gewaltiges Hühnchen rupfen, sobald er endlich aus der Versenkung auftauchte, weil er ihr und Bruno nicht Bescheid gesagt hatte, dass alles in Ordnung war.
Falls
alles in Ordnung war. Sie verscheuchte diesen Gedanken und winkte Bruno nach, als er den Wagen um das Rondell mit den üppigen, exotischen Ziersträuchern steuerte.
Er fuhr die Einfahrt hinunter und bog hinter dem Tor ab. Edie wandte sich dem
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