Die Macht der Angst (German Edition)
geht mir inzwischen am Allerwertesten vorbei, was andere von mir denken. Ich bin wegen Ronnie hier. Wie lange wird dieses Dreckszeug wirken, das Sie ihr gegeben haben?«
Dr. Katz warf sich entrüstet in die Brust. »Das ist kein Dreckszeug! Es ist lediglich ein schwaches Beruhigungsmittel, das ihr dabei helfen wird, sich zu –«
»Beantworten Sie einfach nur meine Frage.«
»Eineinhalb bis zwei Stunden«, sagte er steif.
Edie steuerte zur Tür.
»Wo willst du hin?«, fuhr Evelyn sie an.
»Hm, ich weiß nicht. Vielleicht in die Küche, um ein Glas Wasser zu holen. Oder aufs Klo, um zu pinkeln. Ich werde improvisieren müssen. Lasst mich einfach in Ruhe.«
Sie knallte die Tür hinter sich zu, um das aufgebrachte Gemurmel der anderen auszusperren, dann wanderte sie ziellos umher, bis sie vor einem Familienfoto stehen blieb, das ihre Mutter vor etlichen Jahren in Auftrag gegeben hatte.
Es war ein altmodisches Szenario: Ihr Vater auf einem Stuhl im Vordergrund thronend, mit seiner Hakennase und seinem Patrizier-Gesicht so ehrwürdig wie ein Gründervater auf einer alten Daguerreotypie. Ihre Mutter stand mit der anbetungswürdigen kleinen Ronnie im Arm neben ihm. Sie sah wunderschön aus mit ihrem rosafarbenen Kostüm, den Perlen, dem dunklen, glänzenden, perfekt geschnittenen Bob. Und schließlich Edie, die vor den Füßen ihres Vaters kauerte, als wünschte sie sich, vom Erdboden verschluckt zu werden, egal, wie der Fotograf sie positionierte. Das war zwei Jahre nach der Oase gewesen. Als sie mit grausamer Gewissheit davon überzeugt gewesen war, den Verstand zu verlieren.
Das Foto war einer der verzweifelten Versuche ihrer Mutter gewesen, den äußeren Schein einer heilen Familie zu wahren. Oft hatte Edie gedacht, dass Lindas Entscheidung, noch ein Kind zu bekommen, ein weiterer dieser Versuche gewesen war, sozusagen, um noch mal neu anzufangen. Mit frischem Rohmaterial. Nicht, dass das Edies Liebe zu Ronnie irgendeinen Abbruch getan hätte.
Ihr jüngeres Gesicht auf dem Porträt wirkte verkniffen, ihre großen Augen blickten gehetzt.
Sie hatte seit damals einen weiten Weg zurückgelegt, ging es ihr durch den Sinn. Sie machte echte Fortschritte. Gerade erst hatte sie Dr. Katz mit Verstümmelung gedroht. Das musste ein Schritt in die richtige Richtung sein.
Als Nächstes peilte sie die Tür des Arbeitszimmers ihres Vaters an, das Schauplatz so vieler Mahnreden, Standpauken und Ultimaten gewesen war. Die sich letztendlich allesamt als nutzlos erwiesen hatten. Ihre Eltern hatten nichts daran ändern können, wer ihre Tochter war.
Und sie hätten es sich auch nicht wünschen sollen. Edie war ein guter Mensch. Sie mochte sich so, wie sie war. Und Kev mochte sie auch.
Bei dem Gedanken an Kev wurden ihr vor Angst die Knie weich. Sie atmete tief durch, stieß die Bürotür auf und trat ein.
Es war ein dunkles, holzgetäfeltes Zimmer mit Ledermöbeln, einem Schreibtisch, Bücherregalen und Aktenschränken aus Teakholz. Edie fühlte sich schrecklich nervös und fragte sich unweigerlich, ob man sie ertappen, schimpfen, bestrafen würde. Aber wer sollte das tun? Die einzige Person, deren Meinung zählte, war heute gestorben.
Es musste irgendeine Verbindung zwischen seiner Ermordung und dem, was mit ihr und Kev gerade geschah, geben. Ostermans Vermächtnis, das noch immer sein grausames Echo warf.
Warum sich also nicht auf Spurensuche begeben? Was sollte sie sonst mit sich anfangen, während Ronnie unter dem Einfluss betäubender Sedativa schnarchte? Mit Tante Evelyn plaudern? Mit Tanya Mensch ärgere dich nicht spielen? Ebenso gut konnte sie ein bisschen herumschnüffeln.
Der Computer war angeschaltet. Edie glitt auf den ledergepolsterten Schreibtischstuhl ihres Vaters, insgeheim damit rechnend, er könne jeden Moment ins Zimmer stürzen, zornig über ihr Eindringen in seine Privatsphäre.
Sie klickte auf seinen Terminplan des heutigen Tages und scrollte ihn durch.
Donnerwetter. Für jemanden, der erst am Vortag aus der Intensivstation entlassen worden war, hatte er sich nicht viel Ruhe gegönnt. Zwar hatte er das Racquetball-Match mit einem seiner Kollegen im Fitnesscenter abgesagt, aber das war auch schon sein einziges Zugeständnis. Er war von acht Uhr an völlig mit Terminen ausgebucht. Um zehn Uhr fünfzehn hatte er DESMOND eingetragen.
Um Viertel nach zehn? Hatte Des sich da nicht mit Kev treffen wollen? Und war das nicht der Zeitpunkt, als …
Großer Gott. Es war genau die Uhrzeit, zu der ihr Vater
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