Die Macht der Disziplin
kaum jemand ist in der Lage, pro Stunde tausend Wörter zu schreiben – und hätte sicher davon profitiert, hin und wieder ein wenig langsamer zu machen (und einige seiner 250 Wörter langen Abschweifungen zu streichen).Trotzdem schuf er Meisterwerke wie
Die Türme von Barchester
und
Cecilia
und führte nebenher ein angenehmes Leben. Während andere Schriftsteller ständig unter Geldnot litten und ihren Abgabeterminen hinterherhechelten, verdiente Trollope gut und war dem Zeitplan immer voraus. Während einer seiner Romane veröffentlicht wurde, hatte er schon einen oder zwei weitere fertig in der Schublade.
»Während meiner gesamten schriftstellerischen Laufbahn bin ich nicht ein einziges Mal Gefahr gelaufen, nicht rechtzeitig fertig zu werden«, schrieb er. »Ich hatte nie Angst vor Abgabeterminen. Ich hatte die Seiten immer schon lange vorher in meiner Schublade. Und das habe ich allein diesem Büchlein mit seinem Kalender und seinen Zahlen sowie den täglichen und wöchentlichen Vorgaben zu verdanken.«
Rückblickend können wir Trollope als Vorreiter sehen. Seine Uhr und sein Büchlein waren die Kontrollinstrumente des 19. Jahrhunderts und für seine Zwecke vollkommen ausreichend. Aber nehmen wir an, er würde heute am Computer arbeiten. Nehmen wir an, er würde an einem normalen Tag neben seinem Textverarbeitungsprogramm sechzehn weitere Programme benutzen und im Laufe des Tages vierzig verschiedene Internetseiten aufrufen. Und nehmen wir an, er würde alle fünfeinhalb Minuten von einer elektronischen Nachricht unterbrochen. Was würde ihm seine Uhr da nützen? Würde er mit seinem Büchlein den Überblick behalten?
Vermutlich würde er heute andere Instrumente verwenden, zum Beispiel das Programm RescueTime 87 , das Sekunde für Sekunde das Verhalten seiner Nutzer aufzeichnet. Die Anwender zahlen für Berichte, die ihnen genau zeigen, wie sie ihre Zeit nutzen – oft eine ernüchternde Erkenntnis. Die Statistiken zur Computernutzung aus dem vorigen Absatz wurden von RescueTime zusammengestellt und bilden das Verhalten von Hunderttausenden Nutzern ab. Tony Wright, Gründer von RescueTime, nahm verwundert zur Kenntnis, dass er fast ein Drittel seines Arbeitstages mit dem zubrachte, was er als »Info-Porno« bezeichnet – Besuche auf Websites, die nichts mitseiner eigentlichen Arbeit zu tun haben. In der Regel hielt er sich zwar nur wenige Minuten auf jeder dieser Seiten auf, aber unterm Strich summierten sie sich pro Tag auf zweieinhalb Stunden.
Diese Selbstbeobachtung erinnert Sie vielleicht an den Roman
1984
von George Orwell, doch es handelt sich um eine der Wachstumsbranchen in Silicon Valley. Mit der zunehmenden Beliebtheit von Smartphones und anderen Geräten sind wir zunehmend online, und immer mehr Menschen nutzen dies, um ihr Verhalten zu überwachen: was sie essen, wie viele Schritte sie gehen, wie lange sie Sport treiben, wie viele Kalorien sie dabei verbrennen, wie ihr Puls schwankt, wie effizient sie schlafen, wie schnell ihr Gehirn funktioniert, wie sich ihre Stimmung verändert, wie oft sie Geschlechtsverkehr haben, was sich auf ihr Konsumverhalten auswirkt, wie oft sie ihre Eltern anrufen und wie lange sie ihre Arbeit aufschieben.
Im Jahr 2008 gründeten Kevin Kelly und Gary Wolf das Internetunternehmen Quantified Self (QS) 88 für Nutzer der neuen Technologien zur Selbstregulation. Die QS-Community ist nach wie vor übersichtlich, doch sie hat sich inzwischen weit über Silicon Valley hinaus ausgeweitet und findet Anhänger in zahlreichen Städten, die sich in der realen Welt treffen, um sich über Geräte auszutauschen, Daten zu vergleichen und sich gegenseitig zu ermutigen.
Internetguru Esther Dyson sieht die QS-Bewegung als ausgezeichnete Investitionsmöglichkeit und gute Sache: eine revolutionäre Branche, die Erfolg hat, weil sie uns Dinge verkauft, die ausnahmsweise wirklich gut für uns sind. Statt Ärzte und Krankenhäuser dafür zu bezahlen, dass sie unseren Körper wieder flottmachen, können wir uns selbst beobachten, um Krankheiten zu vermeiden. Statt uns der Werbeindustrie auszuliefern, die uns Junkfood und grenzenlosen Konsum andrehen will, können wir uns selbst durch Botschaften beeinflussen, die unsere Gesundheit fördern und unser Bewusstsein schärfen. »Die Werbebranche ist sehr effektiv, wenn es darum geht, uns Dinge zu verkaufen, die unsere Willenskraft aushöhlen«, meint Dyson. »Wir können dieselben Techniken verwenden, um stärker zu werden.«
Dyson ist seit
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