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Die Macht der Disziplin

Die Macht der Disziplin

Titel: Die Macht der Disziplin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roy Baumeister
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Veröffentlichung im Jahr 2000 von anderen Wissenschaftlern bestätigt. Viele dieser langlebigen Menschen sind vermutlich überzeugt, dass Gott ihre Gebete erhört. Aber Sozialwissenschaftler finden die göttliche Intervention als Erklärung nicht sonderlich überzeugend,und sei es nur, weil sie sich im Labor nicht nachweisen lässt. Sie fanden diesseitigere Gründe.
    Religiöse Menschen entwickeln mit geringerer Wahrscheinlichkeit ungesunde Angewohnheiten, sie trinken weniger Alkohol, pflegen ein weniger riskantes Sexualverhalten, nehmen weniger Drogen und rauchen seltener. Dafür schnallen sie sich häufiger an, gehen regelmäßig zum Zahnarzt und nehmen vitaminreiche Ernährung zu sich. Sie besitzen ein besseres Netzwerk von sozialen Unterstützern, und ihr Glaube hilft ihnen, eher mit Schicksalsschlägen fertig zu werden. Außerdem verfügen sie über größere Selbstdisziplin 134 , wie McCullough und seine Kollege Brian Willoughby von der University of Miami unlängst bei der Auswertung von Hunderten Untersuchungen aus acht Jahrzehnten feststellten. Einige der positiven Auswirkungen der Religion stellten keine Überraschung dar: Religion fördert Familiensinn und gesellschaftliche Harmonie, unter anderem weil diese Werte mit Gottes Willen und anderen religiösen Vorstellungen in Zusammenhang gebracht werden. Außerdem verringert die Religion die inneren Konflikte zwischen widersprüchlichen Werten und Zielen. Wie wir in einem früheren Kapitel gesehen haben, verhindern gegensätzliche Ziele die Selbstregulation, während die Religion Klarheit zu schaffen und den Gläubigen eindeutigere Prioritäten zu geben scheint.
    Entscheidender ist jedoch, dass die Religion zwei wichtige Mechanismen der Selbstbeherrschung beeinflusst: Sie stärkt den Willen und verbessert die Selbstüberwachung. Schon in den zwanziger Jahren stellten Wissenschaftler fest, dass Kinder, die regelmäßig die Sonntagsschule besuchten, in Laborversuchen mehr Selbstdisziplin aufwiesen. Fromme Kinder galten bei Eltern und Lehrern als weniger impulsiv. Wir kennen keine Untersuchungen, die die Auswirkungen des regelmäßigen Gebets und anderer religiöser Praktiken auf die Selbstdisziplin behandelt haben, doch wir können annehmen, dass diese Rituale den Willen genauso stärken wie andere der hier vorgestellten Übungen, zum Beispiel das Aufrechtsitzen.
    Meditation 135 erfordert oft eine explizite und bewusste Kontrolleder Aufmerksamkeit. Anfänger der Zen-Meditation beobachten zum Beispiel ihren Atem. Sie zählen zehn Atemzüge und beginnen wieder von vorn. Dabei schweifen ihre Gedanken natürlich ab, und sie zurückzuholen und sich wieder auf den Atem zu konzentrieren, fördert die geistige Disziplin. Genau wie das Beten des Rosenkranzes, das Singen hebräischer Psalmen und das Wiederholen hinduistischer Mantras. Wenn Neurowissenschaftler Menschen bei der Meditation beobachten, erkennen sie starke Aktivitäten in zwei Hirnregionen, die bei der Selbstregulation und der Kontrolle der Aufmerksamkeit eine entscheidende Rolle spielen. Psychologen beobachten eine Veränderung, wenn sie das Unbewusste von Testpersonen religiösen Begriffen aussetzen, wenn diese Begriffe also so schnell auf einem Bildschirm aufblitzen, dass sie diese nicht bewusst wahrnehmen können. Versuchsteilnehmer, die auf diese Weise Begriffen wie »Gott« oder »Bibel« ausgesetzt werden 136 , reagieren langsamer auf Wörter, die mit Versuchungen zusammenhängen, zum Beispiel »Drogen« oder »vorehelicher Geschlechtsverkehr«. McCullough schließt daraus: »Es scheint, als würde Religion diese Versuchungen dämpfen.« Daher schlägt er Gebet und Meditation als Training 137 zur Selbstdisziplin vor.
    Gläubige stärken ihre Willenskraft, indem sie sich zwingen, ihren Tagesablauf mehrmals zu unterbrechen und zu beten. Einige Religionen wie der Islam verlangen zu festen Tageszeiten Gebete. Andere sehen regelmäßiges Fasten vor, etwa an Jom Kippur, während des Ramadan oder während der vierzigtägigen Fastenzeit. Sie schreiben bestimmte Ernährung vor, zum Beispiel koscheres oder vegetarisches Essen. Bei einigen Gottesdiensten oder Meditationen müssen die Teilnehmer unbequeme Haltungen einnehmen (knien oder Lotussitz), die Disziplin erfordern.
    Religion verbessert außerdem die Kontrolle des eigenen Verhaltens, ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zur Selbstbeherrschung. Religiöse Menschen haben oft das Gefühl, dass sie von jemandem beobachtet werden. Dieser Jemand ist oft

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