Die Macht der Disziplin
aufwachsen: Sie bekommen bessere Noten, sind körperlich und emotional gesünder, haben ein befriedigenderes Sozialleben, weisen seltener asoziale Verhaltensweisen auf, besuchen mit größerer Wahrscheinlichkeit eine Eliteuniversität und landen mit geringerer Wahrscheinlichkeit im Gefängnis.
Eine denkbare Erklärung dafür wäre, dass Kinder mit nur einem Elternteil in Sachen Selbstdisziplin genetisch benachteiligt sind. Wenn sich der Vater (gelegentlich auch die Mutter) aus dem Staub gemacht hat, dann waren die Ursache möglicherweise Gene, die impulsives Verhalten fördern und die Selbstdisziplin schwächen, und die Kinder könnten diese Gene mitbekommen haben. Aber auch in Familien, in denen der Vater oder die Mutter früh starb oder aus anderen Gründen nicht verfügbar war, ließ sich dieser Effekt nachweisen. Auch diese Kinder erwiesen sich als benachteiligt, wenngleich ihre Probleme nicht ganz so groß waren wie die der Scheidungskinder. Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass Kinder – wie immer – sowohl von den Genen als auch der Umwelt bestimmt werden.
Welche Rolle die Gene auch spielen mögen: Die Kinder, die mit nur einem Elternteil aufwachsen, sind von einem offensichtlichen Umweltfaktor betroffen – sie werden von weniger Augen beobachtet. Die Kontrolle stellt einen wichtigen Aspekt der Selbstdisziplin dar, und vier Augen sehen nun einmal mehr als zwei. Alleinerziehende Eltern 159 sind mit überlebenswichtigen Dingen beschäftigt: Sie müssen das Essen auf den Tisch bringen, sich um die Gesundheit der Kinder kümmern und die Rechnungen zahlen und können sich daher nicht mit derselben Konsequenz darum kümmern, Regeln aufzustellen und durchzusetzen. Zwei Eltern können sich dagegen die Arbeit teilen, weshalb beide mehr Zeit und Energie haben, den Charakter des Kindes zu formen. Mehr erwachsene Augen machen einen Unterschied, und dieser Unterschied ist bleibend, wenn man den Ergebnissen einer Untersuchung glauben darf, die vor mehr als sechs Jahrzehnten begonnen wurde.
Zur Prävention jugendlicher Straftaten wurde Anfang der vierzigerJahre ein Projekt aufgelegt, in dessen Rahmen Sozialarbeiter zweimal im Monat 250 Jungen in ihren Elternhäusern besuchten. Sechs Jahre lang notierten sie ihre Beobachtungen über die Familien, die Haushalte und das Leben der Jungen. Zu Beginn der Untersuchung waren die Jungen durchschnittlich zehn Jahre alt. Jahrzehnte später, als die Jungen längst erwachsen und Mitte fünfzig waren, wurden die Aufzeichnungen von der Wissenschaftlerin Joan McCord 160 wiederentdeckt. McCord verglich die Erfahrungen von Menschen im Jugendalter mit ihrem späteren Verhalten als Erwachsene und untersuchte Zusammenhänge hinsichtlich der Kriminalität. Bei der Auswertung der alten Erhebung stellte sie fest, dass die mangelnde elterliche Aufsicht der Jugendlichen die wichtigste Ursache für spätere Straftaten war. Die Sozialarbeiter hatten unter anderem festgehalten, ob die außerschulischen Aktivitäten der Jungen regelmäßig, manchmal oder selten von Erwachsenen beaufsichtigt wurden. Je mehr Zeit die Jugendlichen unter elterlicher Aufsicht verbrachten, umso geringer die Wahrscheinlichkeit, dass sie später Straftaten begingen.
Seither ist die elterliche Aufsicht eher noch wichtiger geworden. Eine jüngste Untersuchung zum Marihuana-Missbrauch 161 , an der 35 000 Jugendliche teilnahmen, ergab einen eindeutigen Zusammenhang mit der Kontrolle durch die Eltern. Wenn die Eltern wissen, wo ihre Kinder sind, was sie tun und wer ihre Freunde sind, nehmen die Kinder mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit Drogen als schlechter beaufsichtigte Kinder.
Bei Diabetes 162 hat die Kontrolle durch die Eltern ähnlich positive Auswirkungen. Jugendliche verfügen über umso mehr Selbstdisziplin, je besser ihre Eltern wissen, wo sich ihre Sprösslinge nach der Schule und am Abend aufhalten, was sie in ihrer Freizeit machen, wer ihre Freunde sind und wofür sie ihr Geld ausgeben. Obwohl Diabetes vom Typ 1 schon in jungen Jahren auftritt und vermutlich überwiegend genetisch bedingt ist, zeigen Jugendliche mit großer Selbstdisziplin und guter elterlicher Aufsicht bessere Blutzuckerwerte und haben damit weniger gravierende Probleme mit den Folgen der Diabetes als andereKinder. Und wenn die Eltern ihre Kinder beaufsichtigen, können sie damit eine mögliche mangelnde Selbstdisziplin der Kinder zum Teil wettmachen.
Je besser Kinder beaufsichtigt werden, umso mehr Gelegenheit haben sie, ihre
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