Die Macht der Disziplin
einmal.
EDWARD: Du überschätzt meine Selbstbeherrschung.
BELLA: Was lockt dich mehr, mein Blut oder mein Körper?
EDWARD: Beides. 157
Mit einem ähnlichen Erfolgsrezept verkaufte die Schmonzettenautorin Mary Brunton schon im 19. Jahrhundert ihre Bestseller. Damals machten sich die Landbewohner Sorgen, ihre Kinder könnten den neuenVersuchungen der Industriestädte verfallen. Doch diese Versuchungen sind nichts gegen das, was in den modernen Städten und im Internet lauert. Auch wenn die Jugendlichen von heute nicht Gefahr laufen, Vampire zu werden, verstehen sie nur zu gut, was Edward meint, wenn er zu Bella sagt: »Wenn ich mit dir zusammen bin, darf ich keine Sekunde lang die Beherrschung verlieren.«
Solange die Selbstdisziplin der Teenager nicht auf der Höhe ihrer Triebe ist, stehen Eltern vor der undankbaren Aufgabe, strenge Kontrolle ausüben zu müssen und die Kinder gleichzeitig mehr und mehr wie Erwachsene zu behandeln. Der beste Kompromiss besteht vermutlich darin, die Jugendlichen bei der Formulierung der Regeln zu beteiligen, was dann zu tun ist, wenn alle ruhig und ausgeruht sind – nicht wenn der Sprössling zum ersten Mal um zwei Uhr morgens nach Hause kommt. Wenn die Jugendlichen an der Aufstellung der Regeln beteiligt sind, sehen sie diese eher als persönliche Verpflichtung und weniger als elterliche Willkür. Wenn sie selbst aushandeln, zu welcher Uhrzeit sie spätestens wieder zu Hause sein müssen, dann halten sie sich eher daran, oder zumindest akzeptieren sie die Konsequenzen, wenn sie dies nicht tun. Und je mehr sie an der Aufstellung der Regeln beteiligt sind, umso eher können sie zum nächsten Schritt der Selbstdisziplin übergehen: der Selbstüberwachung.
Der elterliche Blick
Vor seinen berühmten Marshmallow-Experimenten mit den kalifornischen Kindern machte Walter Mischel 158 bei seinen Arbeiten in Trinidad eine andere Entdeckung zum Thema Selbstbeherrschung. Eigentlich wollte er auf der Insel rassistische Vorurteile erforschen. Die beiden wichtigsten ethnischen Gruppierungen auf Trinidad stammen aus Afrika und aus Indien, und beide Gruppen pflegen ihre Vorurteile gegen die jeweils andere. In den Augen der Inder leben die Afrikaner nur in den Tag hinein und verprassen ihr Geld lieber, statt es zu sparen.Umgekehrt halten die Afrikaner die Inder für freudlose Knauser, die keinen Spaß am Leben haben. Mischel wollte diese Stereotypen überprüfen, indem er Kinder beider Gruppierungen zwischen zwei Schokoriegeln wählen ließ. Einer war größer und kostete zehnmal so viel wie der andere, aber wenn die Kinder den größeren wollten, mussten sie eine Woche darauf warten. Den kleineren, billigeren konnten sie dagegen sofort essen.
Mischel stellte fest, dass die ethnischen Stereotype nicht ganz unbegründet waren. Aber bei seinen Untersuchungen stolperte er über einen sehr viel wichtigeren Effekt: Kinder, deren Vater zu Hause lebte, waren sehr viel eher bereit, auf die größere Belohnung zu warten. Die meisten ethnischen Unterschiede ließen sich wiederum über dieses Phänomen erklären, denn indische Familien bestanden in der Regel aus beiden Elternteilen, wohingegen ein großer Teil der afrikanischen Kinder bei alleinerziehenden Müttern lebte. Die Bedeutung des Vaters wurde deutlich, als Mischel die afrikanischen Haushalte auswertete: Etwa die Hälfte der Kinder mit Vater entschied sich für die verzögerte Belohnung, aber keines der Kinder ohne Vater war bereit, eine Woche lang zu warten. Auch die indischen Kinder ohne Vater zogen durchweg die sofortige Belohnung vor.
Als Mischel seine Erkenntnisse im Jahr 1958 veröffentlichte, erregten sie kaum Aufmerksamkeit. Auch später, als es sich berufsschädigend auswirken konnte, darauf hinzuweisen, dass Kinder in Familien mit nur einem Elternteil Nachteile haben könnten, wurden sie kaum beachtet. Seit Anfang der sechziger Jahre sorgten neue Gesetze, Veränderungen der gesellschaftlichen Normen und ein Anstieg der Scheidungsrate dafür, dass immer mehr Kinder bei nur einem Elternteil aufwuchsen, in der Regel bei der Mutter. Niemand wollte diese alleinerziehenden Mütter kritisieren, und auch uns geht es nicht darum, den Einsatz und die Hingabe dieser Frauen zu schmälern. Aber irgendwann ließen sich die Forschungsergebnisse einfach nicht mehr übersehen. Obwohl es natürlich zahlreiche Ausnahmen gibt, geht es Kindern, die von Vater und Mutter aufgezogen werden, generell besserals Kindern, die nur mit Vater oder Mutter
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