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Die Macht der Ehrlichen: Eine Provokation (German Edition)

Die Macht der Ehrlichen: Eine Provokation (German Edition)

Titel: Die Macht der Ehrlichen: Eine Provokation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Bueb
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Rücksicht nimmt, korrigieren die Schüler die Ungleichheit der Lernbedingungen durch Betrug. Es ist für viele der einzige Weg, sich bilden zu können. Denn der Staat definiert durch seine Prüfungsordnungen, wann jemand als gebildet gelten darf. Von diesem staatlich beglaubigten Bildungsstand hängt der Erfolg im Leben ab.
    Das System Schule reagiert auf Betrug mit Kontrolle und Strafe. Viel Aufsicht, dauernde Präsenz von Erwachsenen, fortwährende Ermahnung, nicht endende Konflikte zwischen Lehrern und Schülern, Misstrauen, Angst und Demütigung prägen den Alltag von Schulen. Es ist immer Schwäche, die Lügen erzeugt. Eine zentrale Schwäche der Schule ist es, dass Schüler mehr Objekte der Belehrung und zu wenig Subjekte selbständiger Tätigkeit sind.
    Auch die Rolle des Lehrers ist belastet. Er soll die Schüler durch Unterricht in ihrem Selbstwertgefühl stärken. Zugleich muss er ihre Leistungen kontrollieren und bewerten. Er ist also ihr Freund und Helfer, aber auch der mächtige Lenker ihres schulischen Schicksals. Erschwert wird seine Aufgabe dadurch, dass er täglich die Qualität der Leistungen von Schülern in messbare Größen, das heißt, in Noten übersetzen muss. Diese »Übersetzung« ist sehr subjektiv, darüber sind sich alle einig. Die Noten schaffen also, wie bereits beschrieben, nur eine Scheinobjektivität – auch eine der Lügen im Schulbetrieb. Deswegen fordern viele Lehrer, Noten abzuschaffen, weil ihr Nutzen in keinem Verhältnis zu dem Schaden steht, den sie anrichten. Auf jeden Fall erzeugen Noten täglich bei den Schülern das Gefühl von Intransparenz und Ungerechtigkeit.
    Schulen müssen sich ändern. Sie müssen sich mit dem Leistungsbegriff unserer Gesellschaft auseinandersetzen. Solange Erfolg von messbaren Leistungen und nicht von individueller Anstrengung abhängt, bleibt der Druck in der Schule bestehen, die Schulleistungen durch Betrügerei zu verbessern. Unter den Reformschulen haben nur die Waldorfschulen den Mut, ein dem einzelnen Schüler gemäßes Leistungsdenken zur Grundlage der Bewertung zu machen. Dafür werden sie vielfach gescholten. Sie übertreiben dieses Prinzip vielleicht, aber die Richtung stimmt.
    Das Betrügen ist nicht nur gängige Praxis in den Schulen, sondern an Hochschulen leider auch. Die Universität Bielefeld hat im Auftrag des Bundesbildungsministeriums drei Jahre lang empirisch untersucht, in welchem Umfang Studenten in Prüfungen abschreiben, aus dem Internet Texte übernehmen, ohne sie zu kennzeichnen, oder sich von anderen Personen Referate oder Hausarbeiten verfassen lassen. Das Ergebnis wurde 2012 in ZEIT Campus Nr. 5 veröffentlicht: »79 % aller Studenten haben innerhalb eines Semesters einmal abgeschrieben oder anders geschummelt, zwei Drittel aller Mediziner schreiben in Klausuren ab, 35 % der Naturwissenschaftler fälschen oder verändern im Studium ihre Messergebnisse.« In dem Artikel heißt es auch, dass Dozenten wenig kontrollieren, weil Kontrollen und folgende Strafen die Beziehung zu den Studenten zu sehr belasten.
    Das System Schule richtet wenig Schaden an, solange Kinder und Jugendliche in Familien aufwachsen, deren Lebensgrundlage Wahrhaftigkeit ist. Für moralisch ungefestigte Kinder dagegen wird Schule zur Schule des Mogelns und Tricksens.

    3 Bertolt Brecht, Flüchtlingsgespräche (Auszug), in: ders., Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 18: Prosa 3. © Bertolt-Brecht-Erben/SuhrkampVerlag 1195;

Wie können Kinder durch Bildung ehrlicher werden?
    Schule muss ihren Begriff von Bildung ändern, wenn sie zur Ehrlichkeit erziehen will. Bildung erfolgt durch Belehrung, das ist trotz gegenteiliger Beteuerungen immer noch die Schulwirklichkeit. Durch Belehrung aber werden Jugendliche nicht ehrlicher. Welche Bildung brauchen wir, damit Kinder zu ehrlichen Menschen heranwachsen? Welche Rolle spielt dabei die Familie, welche Rolle die Schule?
    Der Kleine warf »ein Geschirr auf die Straße und freute sich, dass es so lustig zerbrach«. Unter dem Beifall der Nachbarsbuben fuhr er fort, alles ihm Erreichbare hinauszuschleudern, bis jemand »erschien … zu hindern und zu wehren«. Er wuchs in einem großen, mit Büchern, alten Stichen und stilvollen Möbeln gefüllten Haus auf, er erkundete mit der Schwester die bunte, geschichtsträchtige Umgebung, Feste wurden gefeiert, die gütige Großmutter »setzte … allen ihren Wohltaten die Krone auf, indem sie uns ein Puppenspiel vorstellen ließ, und so

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