Die Macht der ewigen Liebe
sodass ich sie durch eine Tür betreten und durch eine andere wieder verlassen konnte. Ich versteckte mich hinter einer Tür im zweiten Stock, aber er schlich sich an mich heran. Mir kam es so vor, als hätte er mir absichtlich einen Vorsprung gewährt. Dafür, dass er mit unseren mächtigen Gaben mehr Erfahrung hatte, war mir die Flucht einfach zu leicht geglückt.
Ich stürmte in die Abstellkammer im dritten Stock und linste dann durch einen Spalt nach draußen. Gabriel ging auf Zehenspitzen den Flur entlang, checkte lächelnd jedes Zimmer, und ich hätte am liebsten losgeprustet.
»Heiß oder kalt, Remington?«, fragte er und neigte den Kopf, um mich besser hören zu können.
Ich stellte ihn mir mit freiem Oberkörper vor, seine breiten Schultern, seine wohl definierten Muskeln, seine schlanken Hüften.
Heiß, Gabriel. Eindeutig heiß.
Mitten im Gang blieb er plötzlich stehen, entdeckte das Bild in meinen Gedanken, und sein Kiefer spannte sich an. Die Luft schien förmlich zu knistern. Er pirschte sich langsam vor. »Habe ich dir schon erzählt, wo ich dich zum ersten Mal sah?«
Im Underground. Als Lucy mich das erste Mal dorthin mitgenommen hat.
»Nein, du bist mir zuvor schon einmal begegnet.«
Verwirrt hätte ich beinahe mein Versteck verraten, als meine Hand abrutschte und an einen Besen stieß, der an der Wand lehnte. Ich konnte ihn gerade noch festhalten, ehe er auf den Boden krachte. Ich hielt inne, aber Gabriel ging anmeinem Versteck vorbei weiter den Flur entlang. Einen Moment später kehrte er zurück.
»Vor deiner Ankunft in der Stadt war unsere Lage unerträglich geworden«, erzählte er mit einer Stimme, die mich einmal mehr in ihren Bann zog. »Asher fühlte sich verloren. Lottie war … nun, Lottie. Etwas musste anders werden, aber ich wusste nicht, wie ich ihnen helfen konnte. Nach dem, was ich in Italien getan hatte, nach der Art, wie ich unsterblich geworden war, verdiente ich es nicht, glücklich zu sein, aber das galt nicht für Asher und Lottie. Ich spielte mit dem Gedanken, die Stadt zu verlassen, um den Kopf freizukriegen, um mir über alles klar zu werden … Und so saß ich an diesem Abend auf dem Flughafen in Portland und wünschte mir verzweifelt, irgendeinen Hinweis zu erhalten. Ein Zeichen. Da öffneten sich am Gate die Türen, und du kamst aus der Maschine marschiert.«
Ich drückte meine Stirn an die Tür, fühlte ihn auf der anderen Seite, eine körperlose Stimme. Gabriel war an dem Abend da gewesen, als ich in Blackwell Falls eintraf, von Dean gebrochen und gezeichnet. Von Blutergüssen bedeckt und nach Jahren der Misshandlung durch Dean und der Vernachlässigung durch meine Mutter seelisch krank. Gott sei Dank hatte ich mich inzwischen verändert.
»An diesem Abend habe ich dich gesehen, Remy. Ich weiß zwar nicht, wo dein Dad war, aber du hast eine Weile dort gestanden und auf ihn gewartet. Erinnerst du dich?«
Ja. Mein Vater hatte sich Sorgen gemacht, ich würde mich in dem Gedränge, das beim Verlassen eines Flugzeugs unweigerlich entstand, unwohl fühlen. Daher hatte er die Flugbegleiterin gebeten, mich als Erste hinauszulassen. Es war eines der ersten Male gewesen, dass er mir gezeigt hatte, dass ich ihm wichtig war – eine bittersüße Erinnerung.
»Du hattest deinen Schutzwall nicht hochgezogen«, erinnerte mich Gabriel.
Um ein Haar hätte ich nach Luft geschnappt. Damals hatte ich noch nie etwas von Beschützern gehört, vor denen ich mich in Acht nehmen musste. In Menschenmengen hielt ich meine mentale Mauer zum Schutz vor kranken Menschen meist oben, aber in jenem Augenblick stand ich allein in einem leeren Flughafengebäude und nach allem, was ich hinter mir hatte – den Flug, meine Verletzungen und die Auseinandersetzungen mit meinem Vater, von dem ich mich im Stich gelassen fühlte –, war ich einfach nur todmüde.
Du wusstest es. Du wusstest, dass ich eine Heilerin bin.
»Ja. Und zwar die Erste, die ich seit dem Krieg zu Gesicht bekam. Beinahe hätte ich dich angesprochen, aber du sahst so wütend aus, so verletzt. Na, und dann kam auch schon dein Dad zu dir, und ich entdeckte, dass er aus unserer Stadt stammte. Ich wartete genau fünfzehn Sekunden, bevor ich mir mein Gepäck schnappte und zurück nach Hause fuhr. Ich glaube nicht an Liebe auf den ersten Blick, aber ich wusste instinktiv, dass du alles verändern würdest.«
Zitternd legte ich meine Hand auf den Bauch.
Aber als ich dich zwei Tage später im Underground sah, hast du mir die
Weitere Kostenlose Bücher