Die Macht der ewigen Liebe
komm schon. Mach es einfach!«
Sie willigte ein und legte auf. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich. Zunächst geschah nichts. Ich hörte den Straßenverkehr und Wasser, das irgendwo im Haus durch eine Leitung rauschte. Dieselben Geräusche wie sonst auch. Frustriert senkte ich meine mentale Mauer – und dann geschah es.
»In meinen Augen war Mr Rochester nicht hässlich. Meine Dankbarkeit ließ mir seine Züge klug und anziehend erscheinen. Seine Gegenwart heiterte einen Raum mehr auf als das hellste Feuer …«
Ich rief Lucy noch einmal an.
»Was ist denn nun schon wieder?«, fragte sie.
»Du liest Jane Eyre. «
»Deshalb musst du doch nicht so schockiert klingen. Ja, ich kann lesen!«
In meinem Lachen schwang Hysterie mit.
»Alles okay mit dir?«, hakte sie nach.
»Klar. Lies nur weiter.«
Ich beendete das Gespräch und starrte an die Wand. Ein ganzes Stockwerk trennte Lucy und mich, und ich hatte sie trotzdem hören können, als säße sie direkt neben mir. Zum Glück musste ich mich erst konzentrieren, um diesen Sinn zum Leben zu erwecken. Völlig unvorstellbar, ständig von Lärm bombardiert zu werden! Es reichte schon, sich auf meine veränderte Seh- und Hörkraft einzustellen. Was hatte sich sonst noch verändert?
Wild entschlossen, einen weiteren Test durchzuführen, sprang ich auf. Ich sah mich nach etwas Schwerem um, das ich normalerweise nicht heben konnte. Leider entdeckte ich nur ein paar riesige Möbelstücke. Etwas anderes musste her. Also rannte ich ins Familienzimmer – und stieß mit Gabriel zusammen. Er streckte die Arme aus, um unseren Sturz abzufangen, während wir in einem Gewirr aus Armen und Beinen zu Boden gingen.
Als ich seine Lungen plattwalzte, atmete er zischend aus. Na super. Wieso konnte ich kein zierliches Mädchen sein? Gabriel erstarrte unter mir. Seine grünen Augen verengten sich, und ich lächelte, wenn auch ein wenig zittrig. Ich war nervös. Er machte mich nervös.
»Gab…«
Er hob mich mit sanften Händen von sich herunter und setzte sich auf. Verdutzt beobachtete ich, wie er aufstand umzu gehen. Bildete ich mir das nur ein, oder war er sauer auf mich? Die ganzen letzten Stunden hatte ich es gar nicht erwarten können, ihn zu sehen, und er ließ mich stehen, sobald wir uns begegneten. Binnen weniger Sekunden schlugen meine Gefühle von Verwirrung in Gekränktheit um.
»Wow!«, sagte ich zu seinem Rücken. »Ich wusste ja, dass du ein Aufreißertyp bist, aber du lässt einen ja wirklich schnell wieder fallen, hm?«
Gabriel erstarrte. Sein eisiges »Bitte?« kühlte die Luft um mich herum um etliche Grade.
Ich rappelte mich auf und schob die Hände in die Taschen, als wäre ich völlig relaxed. Er konnte mich mal! Ich war keines von den Mädchen, die hinter ihm her gewesen waren und sich an ihn rangeschmissen hatten. »Oh, ich bin mir ziemlich sicher, du hast mich gehört. Aber nur für den Fall, dass nicht …« Ich senkte meinen Schutzwall und bedachte ihn in Gedanken mit ein paar üblen Schimpfwörtern.
Diesmal hörte er mich eindeutig. Er wirbelte herum und verzog den Mund zu einem grimmigen Lächeln. »Nimm das zurück!«, sagte er langsam.
»Ich denk ja gar nicht dran.«
»Remy, ich bin nicht gut drauf, und du gießt da gerade mächtig Öl ins Feuer!«
Inzwischen waren seine Augen fast nur noch Schlitze. Vielleicht reizte ich ihn lieber nicht weiter … Dann erinnerte ich mich, wie versessen ich darauf gewesen war, ihm meinen neuen Haarschnitt zu zeigen, und auch meine Augen verengten sich. Und ich dachte mir, wie gut es einem doch manchmal tat, jemand anderen zu schubsen.
»Oh, da kriege ich aber Angst!«, spottete ich. »Wieso bist du nicht Manns genug und sagst mir, was für ein Problem du hast?«
»Ein Problem?«, fragte er ungläubig. Seine Augenbrauen schossen nach oben, und er machte einen Schritt auf mich zu. Ich kippelte auf meinen Fußballen, bereit davonzustürmen. » Du bist mein Problem!«, setzte er mit tiefer Stimme hinzu, die mich knieweich machte. »Du hast gesagt, du gäbst uns eine Chance.« Er machte einen weiteren Schritt. »Und dass du etwas für mich empfinden würdest.« Noch ein Schritt. »Und dann hast du meinen Bruder geküsst. Also wer ist der Aufreißertyp? Du oder ich?«
Ich blinzelte ihn an. »Wovon sprichst du?«
»Ich habe euch gestern gesehen! Hör mal, ich tue mein Bestes, dir aus dem Weg zu gehen. Gratulation zu eurer Versöhnung.«
Er klang ziemlich gequält und zog sich einmal mehr zurück, raus
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