Die Macht Der Könige
»Nachdem«, hatte Merricat weise mit einem Nicken ihres festen kleinen Kinns gesagt, »du die weiblichen Künste besser beherrschst als irgendeine andere. Und damit Randal mich liebt, muß ich eine unübertreffliche Adeptin werden.«
Merricat hatte Shawme gestern einen Zauber gegeben, der ihre Jungfräulichkeit verbergen sollte. Stirnrunzelnd hatte sie ihn ihr gegeben und gewarnt: »Ich verstehe noch nicht viel davon, sei deshalb lieber vorsichtig.«
Merricat war kleiner, voller und hellhäutiger als Shawme, sie hatte ein rundes Gesicht und glänzende Knopfaugen, und ihr sanftes Benehmen verriet, daß sie aus einer guten Familie kam. Merricat hatte zu ihrem gestrigen Treffen ihren Wanderfalken Dika mitgebracht, das Geschenk ihrer Tante, das ihr die Aufnahme zur Ausbildung in der Magiergilde erst ermöglicht hatte.
»Ich vertraue dir«, hatte Shawme ihr versichert und ihre sonnengebräunten Arme gerieben, weil sie es plötzlich nicht mehr tat.
»Vertrau lieber Dika. Es war seine Idee. Donner und Blitz, ich hoffe, es wirkt!« Merricat war plötzlich ernst. Sie lehnte sich auf der Parkbank vor. »Und versprich mir, daß du es mir erzählst. Wie es ist. Wer es war - überhaupt alles. Oder ich verfluche dich. Das möchtest du aber bestimmt nicht.«
Solange Dika sie nicht ebenfalls verfluchte, wäre es wahrscheinlich nicht schlimmer, als in der Rattenfalle aufzuwachsen, vermutete Shawme. Laut sagte sie jedoch: »Natürlich, sobald es - geschieht, stelle ich die Laterne an mein Fenster. Aber wirst du es denn nicht sowieso wissen, durch deine Magie?«
Merricat hatte ständig Angst, nicht gut genug in ihrer Magierausbildung zu sein oder gar zu versagen. »Ich müßte es wissen«, sagte sie, und ihre Unterlippe begann zu zittern. »Aber wahrscheinlich werde ich es nicht. Ich bin nicht gut genug, Shawme«, sagte sie fast wimmernd. »Ich werde nie.«
»Hör auf zu flennen, Kleine«, sagte Shawme scharf und bereute sofort ihre Gossensprache hier oben, wo sie falsch verstanden werden mochte. Sie griff nach Merricats gepflegter Hand und drückte sie fest, bevor sie sie wieder losließ. »Du bist besser, als du glaubst. Dika weiß es. Er fliegt nicht weg.«
Merricat langte zu ihrer Schulter, um den Falken zu streicheln, der sich dort niedergelassen hatte. Der Vogel legte den Kopf schief, blickte Shawme an und öffnete und schloß kurz, wie als Zustimmung, den Schnabel.
»Er hat recht, Merricat. Ich muß vor dem Frühstück zurück sein.«
»Und ich vor dem Wecken. Viel Glück mit Zip.«
»Viel Glück mit Randal.«
So hatten die Freundinnen sich getrennt, Shawme mit einer Schnur um den Hals. Eine getrocknete Alraunwurzel hing daran, die angeblich verhinderte, daß ihr Geheimnis aufgedeckt wurde.
Es mußte heute nacht geheim bleiben! Heute nacht würde sie mit ihrem ersten Mann ins Bett gehen. Wieder rieb sie sich die braunen Arme und glättete die feinen, sonnengebleichten Härchen darauf. Sie hoffte, er würde schön sein, kühn und nicht zu alt. Sie wünschte sich, daß er genau wie Zip war, mit üppigem Haar und geschmeidigem jungem Körper, mit hohen Wangenkochen und dem Feuer des Rebellen in den Augen.
Aber es könnte genausogut dazu kommen, daß er ein dicker, schmieriger Händler aus der Weberstraße war oder ein Kameltreiber vom Karawanenplatz. Es gab keine Götter mehr in dem Rattenfallenviertel, in dem Shawme bei einer flüchtigen Zufallsbegegnung einer ilsigischen Matrone und eines Soldaten gezeugt worden war, der nach Shawmes blauen Augen zu schließen wahrscheinlich ein Rankaner gewesen war.
Keine Götter, zu denen man beten konnte, dafür aber zahlreiche Gebete. Shawme schloß die Augen und murmelte: »Rotes Licht, Licht der Liebe, Licht, das nichts mir trübe, ich wünsch', es gibt mir heute nacht, den Jungen, der glücklich mich macht.«
Schnell wie eine Katze riß sie die Augen auf und sah die ersten Lichter der Stadt aufflammen. Gegen das träge Blau des frühen Abends erschienen sie ihr wie ein Omen. Zip würde kommen, dessen war sie nun sicher. Er würde kommen und dafür sorgen, daß Shawme in ihrer ersten Nacht als eines von Myrtis' Mädchen einen Kunden hatte. Er würde kommen, um eine Frau aus ihr zu machen.
Mit der Hand um die Alraunwurzel an ihrem Hals rutschte sie unter ihrer Decke aus dem Bett. Dank Merricats Magie würde alles gut und richtig werden - wenn sie sich bloß entscheiden könnte, ob sie ihr blaues oder ihr rotes Gewand anziehen sollte.
Für ein Mädchen, das nie zuvor auch
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