Die Macht Der Könige
mit Männern tat, außer vor ihnen davonzulaufen und sie mit allem zu bewerfen, was man gerade aufheben konnte, wenn sie einem zu nahe kamen. Denn täte man das nicht und sie bekämen einen zu fassen, wäre man im nächsten Augenblick übel zugerichtet, blutig und schwanger.
Aber bei den Frauen der Oberstadt im Aphrodisiahaus war das anders, und seit sie das erfahren hatte, hatte sie dorthin gewollt.
Deshalb hatte sie grauenvolle Angst, als Zips Ton sich änderte. Falls er herausfand, daß sie gar nichts von der Arbeit wußte, die sie im Austausch für die Schätze verlangte, würde er ihr bestimmt nicht helfen. Und wenn sie Zip je tun ließ, was Männer mit Frauen taten, mußte sie erst wissen, was sie zu tun hatte. Denn sonst würde er sie auslachen.
Männer machten sich über Jungfrauen immer lustig.
Shawmes Jungfräulichkeit war auch jetzt, nachdem sie bereits eine Woche bei Myrtis war, noch ein Problem. Sie hatte vorgehabt, es Myrtis in einem günstigen Moment zu gestehen. Aber es hatte bisher nie einen gegeben. Zip hatte ihr die Vorstellung ermöglicht und sie von einem zuverlässigen Begleiter in die Oberstadt bringen lassen. Sie war in den ganzen zwei Wochen nicht mehr in die Rattenfalle zurückgekehrt.
Man hatte sie gelehrt, sich zu baden, mit ihrer Blutung zurechtzukommen, sich sanft und schön zu machen und zu verhindern, daß sie schwanger wurde. Aber nicht, wie sie sich von diesem schrecklichen Fluch der Jungfräulichkeit befreien könnte. Auch nicht, wie man einen Mann erfreute.
All die anderen Mädchen hier - ältere Mädchen, selbstsichere Mädchen, weise Mädchen mit Goldreifen in den Ohren -nahmen an, daß sie ihr Gewerbe beherrschte. Würden sie die Wahrheit erfahren, vertriebe man sie aus dem Haus und sie müßte in die Rattenfalle zurück. Wie in ihrem Traum.
Aber niemand hatte es herausgefunden, und heute würde Shawme sich zum ersten Mal hinunterbegeben. Heute würde sie unter den anderen im großen Salon sitzen, sich zur Schau stellen, fächeln, Männer nach oben locken.
Heute nacht würde Shawme zur Frau werden, die sie zu sein vortäuschte. Sie hatte gelogen, was ihr Alter betraf, hatte behauptet, sie wäre achtzehn. Aber es war niemandem aufgefallen. Die anderen Mädchen waren zu sehr damit beschäftigt, ihre Eroberungen zu zählen. Wer hier zu einem kam, war das wichtigste. Wer öfter als einmal kam, wer zum Stammfreier wurde und was er einem für Geschenke mitbrachte. Es war eine andere Welt.
Und sie stand an ihrer Schwelle. Ihr Herz beruhigte sich, und sie räkelte sich in ihrem Bett, beobachtete, wie der Sonnenuntergang in die Dämmerung überging, und die Farben waren nicht prächtiger als die Gewänder, welche die Mädchen unten trugen. Myrtis hatte ihr das kleinste Zimmer gegeben, die schlichtesten Kleider, den niedrigsten Prozentsatz, aber alles nur, weil Shawme die Neue war.
»Ohne Zips Fürbitte hättest du dieses Bett gar nicht bekommen«, hatte ihr Myrtis keineswegs unfreundlich erklärt. »Wir haben eine Warteliste, die bis zur Schimmelfohlenbrücke reicht. Du mußt hier deinen Weg machen, dir Freunde anlachen und zusehen, daß du Stammkunden gewinnst. Dann wirst du dein eigenes Geld haben, und wir ziehen, was ich dir vorgestreckt habe, von deinen Einnahmen ab.«
Shawme hatte nicht einmal gewußt, was »Einnahmen« waren, bis sie gestern früh aufgestanden war und sich aus dem Haus gestohlen hatte, um Merricat im Park des Himmlischen Versprechens zu treffen.
Merricat war Shawmes einzige Freundin aus der Oberstadt und Lehrling in der Magiergilde, was sie ihrer geheimnisvollen und mächtigen Tante aus dem Norden verdankte. Die beiden Mädchen hatten sich eines Tages am Strand getroffen und waren seither dicke Freundinnen.
Als sie einander begegnet waren, hatte Merricat geweint, während sie nach brauchbarem Strandgut suchte. Shawme hatte ihr Messer gezogen, um dieses Mädchen zu beschützen, falls das möglich war. Merricats Tränen flossen, wie sich herausstellte, aus unerwiderter Liebe zu Randal, dem mächtigen Magier, der für die Stiefsöhne arbeitete.
Dadurch hatten sie etwas gemein gehabt, denn keines der beiden Mädchen wurde von ihrem Traummann auch nur bemerkt. Merricat hatte Shawme alles über Randal anvertraut, und Shawme hatte Merricat ihre hoffnungslose Liebe zu Zip gestanden.
Danach hatten sie gemeinsam diesen Plan ausgeheckt, der Zip dazu bringen sollte, Shawme zu beachten und eines Tages zum Aphrodisiahaus zu kommen, um sie zu sich zu holen.
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