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Die Macht der Sechs - das Erbe von Lorien ; Bd. 2

Die Macht der Sechs - das Erbe von Lorien ; Bd. 2

Titel: Die Macht der Sechs - das Erbe von Lorien ; Bd. 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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war, als würde ich eine Schwarz-Weiß-Fotografie ansehen.
    »Ella!«, rief ich überrascht.
    Sie hatte das Papier umgedreht und hielt es mit ihren kleinen, schmutzigen Händen in ihr Schulbuch gedrückt, obwohl sie wusste, dass ich es war.
    »Wo hast du gelernt, so was zu machen?«, flüsterte ich. »Warum kannst du so gut zeichnen?«
    »Mein Vater«, erwiderte sie flüsternd und hielt das Blatt weiter umgedreht. »Er war Künstler. Meine Mutter auch.«
    Ich setzte mich auf ihr Bett. »Und ich dachte, dass
ich
eine ganz gute Malerin wäre.«
    »Mein Vater war ein großartiger Maler«, sagte sie schlicht. Bevor ich ihr noch mehr Fragen stellen konnte, wurden wir von Schwester Carmela unterbrochen und aus dem Zimmer gescheucht.
    In dieser Nacht fand ich Ellas Zeichnung unter meinem Kopfkissen. Sie ist das schönste Geschenk, das ich je bekommen habe.
    Während wir weiter in der Messe sitzen, überlege ich, ob Ella mir vielleicht bei meiner Höhlenmalerei helfen könnte. Ich kann bestimmt eine Taschenlampe oder Fackel auftreiben und in die Höhle mitnehmen.
    Plötzlich werden meine Gedanken von einem hellen Kichern neben mir unterbrochen. Ich öffne die Augen. Ella hat eine pelzige, rotschwarze Raupe entdeckt, die gerade an ihrem Arm hochkrabbelt. Ich lege einen Finger an die Lippen und bedeute ihr, still zu sein. Für einen kurzen Moment hilft es, doch dann klettert die Raupe noch weiter und Ella fängt wieder an zu kichern. Ihr Gesicht wird ganz rot, während sie versucht, nicht zu lachen, aber weil sie es so heftig zu unterdrücken versucht, wird alles nur schlimmer. Schließlich kann sie nicht mehr an sich halten und bricht in schallendes Gelächter aus. Alle Köpfe wenden sich um und Vater Marco unterbricht seine Predigt mitten im Satz. Ich schnappe mir die Raupe von Ellas Arm, setze mich ganz aufrecht hin und erwidere die starrenden Blicke der anderen. Ella hört auf zu lachen. Nach und nach drehen sich die Köpfe wieder nach vorn und Vater Marco, sichtlich aus der Fassung gebracht, führt seine Predigt fort.
    Ich habe meine Hand um die Raupe geschlossen. Sie versuchtfreizukommen. Nach einer Minute öffne ich meine Hand. Die plötzliche Bewegung veranlasst das pelzige kleine Ding, sich zu einem Ball zusammenzurollen. Ella reißt die Augenbrauen hoch und macht eine hohle Hand, in die ich die Raupe lege. Dann sitzt Ella da und betrachtet das kleine Tier lächelnd.
    Als ich die Reihen vor uns absuche, bin ich keineswegs überrascht, Schwester Dora zu erblicken, die streng in meine Richtung sieht. Sie schüttelt den Kopf, bevor sie sich wieder Vater Marco zuwendet.
    Ich beuge mich so dicht zu Ella, dass ich ihr etwas zuflüstern kann, ohne dass die anderen etwas davon verstehen.
    »Wenn die Gebete enden«, sage ich leise zu ihr, »müssen wir hier so schnell wie möglich verschwinden. Und mach einen großen Bogen um Schwester Dora.«
    Vor der Messe habe ich Ellas Haar zu einem festen Zopf geflochten. Als sie mich jetzt mit ihren großen braunen Augen ansieht, wirkt es fast, als würde der schwere Zopf ihren Kopf nach hinten ziehen. »Bekomme ich Ärger?«
    »Ich denke nicht, aber für alle Fälle sollten wir hier raus sein, bevor Schwester Dora uns abfangen kann. Alles klar?«
    »Alles klar«, sagt sie.
    Das Glück lässt uns allerdings im Stich. Kurz bevor die Messe zu Ende geht, steht Schwester Dora auf und schlendert in den hinteren Teil der Kirche. Dann bleibt sie ein paar Schritte von uns entfernt wartend an der Tür stehen.
    Als ich beim Abschlussgebet meine Augen wieder öffne und mich bekreuzige, legt Schwester Dora eine Hand auf meine linke Schulter. »Komm bitte mit mir«, sagt sie zu Ella und beugt sich über mich, um nach Ellas Handgelenk zu fassen.
    »Was ist denn los?«, sage ich.
    Schwester Dora zerrt Ella an mir vorbei. »Nichts, was dich etwas anginge, Marina.«
    »Marina!«, ruft Ella und sieht mich mit angsterfüllten Augen an, während Schwester Dora sie hinter sich herzieht.
    Ich werde plötzlich ganz panisch und rase zu den vorderen Bankreihen, wo sich Adelina mit einer Frau aus der Stadt unterhält. »Schwester Dora hat eben Ella gepackt und sie weggebracht«, unterbreche ich aufgeregt ihr Gespräch. »Du musst sie aufhalten, Adelina!«
    Sie sieht mich ungläubig an. »Das werde ich keineswegs. Und es heißt
Schwester
Adelina. Entschuldige mich bitte, Marina, ich bin gerade mitten in einem Gespräch.«
    Ich schüttele den Kopf, während sich meine Augen mit Tränen füllen. Adelina kann sich

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