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Die Macht der Sechs - das Erbe von Lorien ; Bd. 2

Die Macht der Sechs - das Erbe von Lorien ; Bd. 2

Titel: Die Macht der Sechs - das Erbe von Lorien ; Bd. 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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anscheinend nicht mehr erinnern, wie es sich anfühlt, wenn man um Hilfe bittet, diese jedoch nicht erhält.
    Ich drehe mich um, laufe aus der Kirche und steige die Wendeltreppe hinauf, die zu den Kirchenbüros führt. Am Ende des Flurs, auf der linken Seite, gelange ich zu der einzig geschlossenen Tür. Sie führt in das Büro von Schwester Lucia. Jetzt überlege ich, was ich tun soll. Anklopfen? Ohne Vorwarnung hineinplatzen? Aber ich habe weder Gelegenheit zu dem einen noch dem anderen. Gerade, als ich fast den Türknauf berühre, höre ich das Klatschen des Holzlöffels, unmittelbar gefolgt von einem Schrei. Ich erstarre vor Schreck. Es ist Ella, die schreit, und eine Sekunde später wird die Tür von Schwester Dora geöffnet.
    »Was machst du hier?«, faucht sie mich an.
    »Ich wollte Schwester Lucia besuchen«, antworte ich.
    »Sie ist nicht da. Und du solltest in der Küche sein. Los, beweg dich«, sagt sie und scheucht mich zurück. »Ich komme auch dorthin.«
    »Geht es ihr gut?«
    »Marina, das geht dich überhaupt nichts an«, schimpft sie,packt mich am Oberarm, dreht mich herum und gibt mir einen Stoß. »Geh!«, befiehlt sie.
    Ich gehe den Flur hinunter und hasse mich selbst für die Angst, die mich jedes Mal überkommt, wenn ich mit einer Situation wie dieser konfrontiert werde. Schon immer ist es so gewesen – mit den Schwestern, mit Gabriela García, mit Bonita auf dem Schwimmdeck: Ich werde von demselben nervösen Gefühl übermannt, das sich dann schnell in Furcht verwandelt und mich zum Rückzug veranlasst.
    »Schneller!«, bellt mir Schwester Dora nach und folgt mir über die Wendeltreppe zur Küche, wo die El-Festín-Pflichten auf mich warten.
    »Ich muss zur Toilette«, sage ich, bevor wir die Küche erreichen. Es ist eine Lüge, aber ich will sichergehen, dass es Ella gut geht.
    »Okay. Aber beeil dich. Ich stoppe die Zeit.«
    »In Ordnung.«
    Ich verschwinde um die nächste Ecke und warte dreißig Sekunden, bis ich sicher bin, dass sie gegangen ist. Dann laufe ich denselben Weg zurück, die Wendeltreppe hinauf bis in den Flur.
    Die Bürotür ist angelehnt. Ich gehe hinein. Drinnen ist es düster. Eine Staubschicht bedeckt die an der Wand angebrachten Regale, auf denen alte Bücher stehen. Das einzige Licht dringt durch ein schmutziges Buntglasfenster.
    »Ella?«, rufe ich zaghaft. Ich habe das Gefühl, dass sie sich vielleicht versteckt hat. Keine Antwort.
    Ich verlasse das Büro und schaue in den Räumen nach, die abseits des Hauptflurs liegen. Aber sie sind alle leer. Während ich durch die Flure streife, rufe ich nach Ella.
    Am anderen Ende des Hauptflurs ist der Schlafraum der Schwestern. Doch auch hier keine Spur von Ella. Ich laufe wieder die Treppe hinunter. Die Menschen haben mittlerweile ihrenWeg in die Cafeteria gefunden. Schnell laufe ich weiter in die Kirche, um nach Ella zu suchen. Sie ist weder hier, noch in einem der beiden Schlafräume, noch im Computerraum oder einem der Vorratsräume. Nachdem ich so ziemlich jeden Winkel durchstöbert habe, der mir eingefallen ist, ist eine halbe Stunde vergangen. Ich weiß, dass ich Ärger bekomme, wenn ich jetzt in die Cafeteria gehe.
    Stattdessen ziehe ich schnell meine Sonntagskluft aus, nehme meinen Mantel vom Haken, reiße die Decke von meinem Bett und verschwinde nach draußen. Ich stapfe durch den Schnee und kann dabei das Geräusch des klatschenden Holzlöffels sowie Ellas Schrei nicht aus meiner Erinnerung verbannen. Auch Adelinas scharfe Zurückweisung kann ich nicht vergessen. Mein ganzer Körper ist total angespannt und ich konzentriere meine Energie auf ein paar große Steine am Wegesrand, die ich mithilfe der Telekinese aufhebe und in Richtung der Berge schleudere. Eine gute Möglichkeit, Dampf abzulassen. Der Schnee ist an der Oberfläche hart geworden und mit einer dünnen Eisschicht überzogen, die unter meinen Füßen knirscht, aber nicht verhindern kann, dass die Steine ins Tal hinunterschlittern. Ich bin so geladen, dass ich sie am liebsten alle in das Dorf hinunterrasen ließe. Aber ich halte sie auf, denn ich bin nicht wütend auf das Dorf, sondern eher auf das Kloster seines Namenspatrons und alle, die darin leben.
    Nach einer Weile komme ich am Kamelhöcker vorbei – jetzt habe ich noch einen halben Kilometer zu gehen. Die Sonne wärmt mein Gesicht. Sie steht hoch am Himmel gen Osten geneigt, was bedeutet, dass ich mindestens fünf Stunden zur Verfügung habe. So viel freie Zeit hatte ich schon seit Langem nicht

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