Die Macht der Sechs - das Erbe von Lorien ; Bd. 2
antwortetAdelina sanft. »Es tut mir leid, dass ich meinen Posten verlassen habe.«
Ich kann sehen, wie sich Schwester Doras Augen zusammenziehen. »Mit Marina?«
»Wie bitte?«
»Vier der Mädchen haben mich mitten in der Nacht aufgeweckt und mir erzählt, dass du dich letzte Nacht zusammen mit Marina hinausgeschlichen hast.«
Adelina will gerade zu einer Antwort ansetzen, als Ella plötzlich hinter ihr steht und an Schwester Doras Gewand zupft. »Schwester Dora? Ich habe Marina gerade gesehen«, lügt sie.
»Wo?«
»In ihrem Bett. Sie schläft.«
Schwester Dora beugt sich hinunter und packt Ella am Arm. Der erschrockene Ausdruck auf Ellas Gesicht lässt mich zusammenfahren. »Du kleine Lügnerin! Ich war gerade im Schlafraum und da ist
niemand
. Du willst sie nur in Schutz nehmen.«
»Es reicht, Schwester Dora«, unterbricht Adelina sie.
Ungeachtet dessen wird Ella von Schwester Dora so heftig weggezogen, dass ihre Füße den Boden kaum noch berühren. »Wir gehen jetzt rauf ins Büro. Dort werde ich dir beibringen, dass hier bei uns nicht gelogen wird.«
Selbst von meinem Standort aus kann ich erkennen, wie Tränen über Ellas Wangen kullern. Ich konzentriere mich auf Schwester Doras Finger und reiße sie von Ellas Oberarm weg. Schmerzerfüllt schreit Schwester Dora auf. Verwirrt und überrascht schaut sie auf Ella hinunter. Dann packt sie das Mädchen erneut.
Adelina läuft jetzt zu ihnen. Noch bevor ich Schwester Dora auf ihrem Hintern quer durch den gesamten Mittelgang schleudern kann, ergreift Adelina ihr Handgelenk.
Schwester Dora zieht den Arm weg. Dass Adelina nun aufEllas und meiner Seite steht, lässt mein Herz einen Freudensprung machen.
»Wag es ja nicht, mich je wieder anzufassen!«, sagt Schwester Dora empört. »Du gehörst nicht mal hierher, Adelina. Und diese kleine Teufelin in deiner Begleitung ebenso wenig.«
Adelina quittiert Schwester Doras Bemerkung mit einem kühlen Lächeln. »Sie haben recht, Schwester Dora. Vielleicht gehören Marina und ich nicht hierher und vielleicht werden wir das Kloster noch heute verlassen. Aber wenn Sie bitte zunächst die Güte hätten und Ella losließen?« Ihre geduldig und herzlich klingende Stimme kann einen Funken Gift kaum verbergen.
»Wie kannst du es wagen?«, spottet Schwester Dora. »Du bist ja selbst nicht viel mehr als ein Waisenkind. Wir haben dich aufgenommen, als alle anderen dich abwiesen!«
»Vor den Augen des Herrn sind wir alle gleich. Das werden Sie doch sicher bestätigen?«
Schwester Dora kommt drohend einen Schritt auf Adelina zu, doch Adelina packt ihren Arm. Sie starren sich an.
»Ich werde Schwester Lucia hiervon berichten. Du wirst hier so schnell herausfliegen, dass dir nicht mal die Zeit bleibt, um Vergebung zu bitten.«
»Ich sagte bereits, dass ich noch heute gehe. Und ich werde
immer
die Möglichkeit haben, um Vergebung zu bitten.« Adelina reicht Ella die Hand. Schwester Dora zögert, bevor sie widerstrebend Ellas Arm loslässt. »Ich werde nicht nur um Vergebung bitten, weil ich eine so schlechte Beschützerin für Marina war, sondern ich werde Gott auch bitten, Ihnen zu vergeben, weil Sie den Zwecks ihres Daseins hier vergessen haben.«
Ein paar Sekunden starren sich die beiden weiter an. Schließlich wendet sich Schwester Dora ab und verlässt schnaubend die Kirche. Als sie außer Sichtweite ist und Ella mir gerade den Rücken zukehrt, lasse ich mich zu Boden sinken.
»Hallo Ella«, begrüße ich sie.
»Marina!« Sie lässt Adelina los, kommt zu mir gelaufen und umarmt mich. »Wo bist du gewesen?«
»Adelina und ich mussten in Ruhe miteinander sprechen«, sage ich und drehe mich zu Adelina. »Wir mussten über unsere Zukunft reden.«
Adelina blinzelt, schaut auf ihr schmutziges Nachthemd hinunter und wird verlegen. »Marina, pack deine Sachen zusammen und lass den Kasten so lange an einem sicheren Ort. Wir werden sehr bald aufbrechen.«
Nachdem Adelina gegangen ist, nimmt Ella meine Hand und drückt sie fest. »Die bösen Männer waren gestern Nacht hier, Marina.«
»Ich weiß. Ich habe sie gesehen. Deshalb gehen wir ja weg.« Als ich das sage, wird mir sofort klar, dass ich Adelina bitten werde, Ella mit uns nehmen zu dürfen.
»Ich habe alle drei gesehen«, flüstert Ella.
Mir bleibt die Luft weg. »Es waren drei?«
»Sie waren letzte Nacht am Fenster und haben zu deinem Bett gesehen.«
Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Ich lasse den Kasten wieder zurück in den Schacht schweben und
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