Die Macht der Steine
der katholischen und der Habiru-Liturgie verschärft hatte. Sein Vater und die meisten seiner Bekannten waren Habiru gewesen und hatten Hebräisch gesprochen. Aber prominente Mitglieder der Gemeinde, wie z.B. Sam Daniel, hatten aufgrund einer langen Familientradition Jesus mehr verehrt als die Propheten und waren somit Anhänger des etablierten Credos, das unter der Bezeichnung Katholizismus firmierte. Sein Vater hatte die Katholiken trotz ihres Glaubens immer respektiert.
An dieser Kommunion hatten nicht nur Habiru und Katholiken teilgenommen, sondern auch die nun zersplitterten Moslems und einige andere Glaubensrichtungen, die heute nicht mehr existierten. Das waren schwierige Zeiten gewesen, vielleicht genauso schwer wie die auf das Exil folgende Periode. Jeshua erinnerte sich an die Gespräche zwischen seinem Vater und einer Gruppe Katholiken – eine zwanglose, informelle Unterhaltung, ohne die steife Zeremonie, die sich seitdem entwickelt hatte. Sein Vater hatte erwähnt, daß der Name seines jüngsten Sohnes Jeshua war, was eine Abwandlung von Jesus darstellte; und die Katholiken, als ob sie alle seine Väter gewesen wären, hatten sich um ihn geschart und seine für einen Sechsjährigen schon fortgeschrittene Entwicklung, die Größe und offenkundige Kraft bewundert. »Willst du einen Zimmermann aus ihm machen?« fragten sie scherzhaft.
»Er wird ein Cain werden«, antwortete sein Vater.
Sie runzelten konsterniert die Stirn.
»Ein Werkzeugmacher.«
»Es war die Werkzeugherstellung, die uns das Exil beschert hat«, sagte Sam Daniel.
»Ja, und sie hat uns über die Tiere erhoben«, konterte sein Vater.
Jeshua erinnerte sich noch an einige Einzelheiten der sich anschließenden Diskussion. Sie waren ihm im Gedächtnis haften geblieben und hatten als Erwachsener seine Weltsicht geprägt, nachdem sein Vater bei einem Grubenunglück ums Leben gekommen war.
»Es war der Hirte, der uns über die Tiere erhob und zu ihren Herren werden ließ«, wußte ein anderer. »Es waren der Werkzeugmacher und der Landmann, die den Schäfer ermordeten und dazu verurteilt wurden, im Exil rastlos umherzuwandern.«
»Ja«, pflichtete ihm sein Vater bei, mit Augen, die im Schein des Feuers leuchteten. »Und später war es der Hirte, der seinem nomadischen Bruder das Geburtsrecht stahl – oder haben wir Jakob und Esau schon vergessen? Die Schuld dürfte wohl ausgeglichen sein.«
»Es gibt viel Verwirrendes in der Vergangenheit«, konzedierte Sam Daniel. »Und wenn wir die Augen aufmachen und erkennen, daß unser Exil durch den Gebrauch von Werkzeugen erleichtert wird, dann sollten wir unsere ehrenwerten Werkzeugmacher nicht schmähen. Aber jene, welche die Städte errichtet hatten, die uns dann ins Exil schickten, stellten auch Werkzeuge her, und diese Werkzeuge wandten sich schließlich gegen uns.«
»Aber warum?« fragte sein Vater. »Weil wir als Menschen versagt hatten? Bedenkt, daß es die Habirus und Katholiken – und dann Juden und Christen – waren, die Robert Kahn mit der Errichtung der Städte auf Gott-der- Schlachtenlenker beauftragt hatten; er sollte reine Städte für die Besten der Menschheit erbauen, die letzten Träger der Flamme Jesu und des Herrn. Wir waren selbstgerecht in jenen Tagen und wollten die Verworfenheit unserer Nachbarn abschütteln. Wie konnte es dann geschehen, daß gerade die Besten vertrieben wurden?«
»Hybris«, warf ein Katholik ein. »Eine Schandtat unter anderen. Die Geschichte kündet nämlich von vielen Schandtaten, was, Junge?« Er schaute Jeshua an. »Du erinnerst dich doch an die Geschichten vom Bösen, das die Menschen getan haben?«
»Laß das Kind in Ruhe«, ging sein Vater zornig dazwischen.
Sam Daniel legte den Arm um Jeshuas Vater. »Unser Disputant ist wieder mal beim Thema. Noch immer im Besitz des Geheimnisses für unsere Vereinigung?«
Im Halbschlaf öffnete er die Augen und wollte sich im Bett umdrehen.
Etwas stoppte ihn, und er spürte ein Zwicken im Nacken. Er konnte kaum etwas erkennen – die Augen tränten, und alles war verschwommen. Seine Nase juckte, und in seinem Gaumen breitete sich ein diffuser Schmerz aus, als ob etwas durch die Nase in den Rachenraum krabbeln würde. Er versuchte zu sprechen, konnte jedoch nicht. Silbrige Arme bewegten sich wie Weberschiffchen auf ihm und hinterließen graue Schattenspuren, und er glaubte Drähte zu sehen, die sich über seiner Brust ringelten. Er blinzelte. Tropfen einer Flüssigkeit hingen an den Drähten wie Tau in
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