Die Macht der Steine
Thinner.
»Ich glaube, daß ich dieses Ende herausreißen kann«, sagte Jeshua.
»Und was dann?«
»Wir sollten vielleicht auf die Wache warten«, schlug Kahn vor. »Wenn sie dann kommt – Überraschung!«
»Ich werde dich vor ihren Waffen abschirmen, Architekt«, versprach Jeshua. »Ich bin ohnehin schon verwundet – da werden ein paar Kugeln mehr auch nicht schaden.«
»Du bist wirklich ein Phänomen«, sagte Kahn. »Ich hätte nie geglaubt, daß ein Stadt-Teil so viel einstecken kann.«
»Deshalb hat uns der Eine Heilige, gesegnet sei Er, auch hier versammelt – er verwirklicht deinen Meisterplan«, erkannte Jeshua. »Wir werden den Schmerz des messianischen Zeitalters auf uns nehmen.«
»Mein Freund hat sich etwas zu intensiv mit dieser Materie befaßt«, bemerkte Thinner. »Nach allem, was ich gehört habe, macht er nur dich für die ganze Malaise verantwortlich.«
Kahn grinste bei diesem Tadel. »Ich glaube nicht, daß ausschließlich mein Code dafür verantwortlich ist. Ihr beide seid anscheinend autonome Individuen.
Wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich euch für Menschen halten.«
»Nein«, widersprach Jeshua. »Das sind wir nicht.«
»Nun, in technischer Hinsicht bin ich auch kein Mensch, und ich glaube, daß ich ebenfalls ein paar Kugeln verdauen kann.« So sicher war er sich diesbezüglich indessen gar nicht – aber er hielt es für geboten, sich jetzt auch zu behaupten und ein wenig Mut zu zeigen. Er schämte sich fast vor seinen Geschöpfen der Letzten Tage.
Eine Wache öffnete die Tür am Ende des Zellentraktes. Kahn legte einen Finger auf die Lippen. Drei Stiefelpaare klackerten über den Bodenbelag, und als er aufschaute, sah er Männer, die sich über die Grube beugten, als Silhouetten unter dem trüben blauen Oberlicht.
»Alles Stadt-Teile?«
»Wir nehmen es an. Haben sie noch nicht aufgeschnitten – aber einer ist verwundet, und er ist nichtmenschlich. Beim anderen handelt es sich nur um einen Kopf ohne Körper, und der dritte ist gekleidet wie jemand aus einer Polis.«
»Aufmachen.«
Die Wache bückte sich und schob einen Schlüssel ins Schloß. Die korrodierten Angeln lösten sich aus ihrem Sitz, und das Gitter fiel scheppernd gegen den Außenrahmen. Die Wache versuchte, das Gitter mittels eines Hebels wieder freizubekommen, aber es hatte sich verkeilt.
Jeshua stemmte den Fuß auf den Boden der Grube und griff mit beiden Händen nach oben. Schwer atmend drückte er das Gitter aus dem Rahmen. Die Wache wurde zurückgeschleudert, und Jeshua richtete sich auf, wobei er die beiden anderen Männer mit dem Gitter an die Korridorwand drückte. Kahn schnappte sich den Kopf und kletterte aus der Grube. Jeshua zog die Schlüssel aus dem Gitter, und sie liefen zum entgegengesetzten Ende des Zellentrakts. Nachdem sie die zweite Tür geöffnet hatten, fanden sie sich auf einem Sportplatz wieder, welcher an das alte Gerichtsgebäude des Synedriums angrenzte. Jeshua trat die dünne Holztür auf, und sie erreichten eine Treppenflucht, die auf eine Straße hinausführte. Sie befanden sich jetzt in der Lieferantenzufahrt an der Rückseite des Gefängnisses. Es war noch kein Alarm ausgelöst worden; die Polizei der Gründer war doch nicht so effizient, wie Kahn eigentlich erwartet hatte.
Nun waren sie im Zentrum von Kanaan-Stadt und liefen durch den frühmorgendlichen Gleiter- und Fußgängerverkehr, als die Gefängnissirenen ertönten.
Arthur saß auf der Veranda an der Vorderseite des Hauses und wartete auf den ersten kühlen Wind des Abends, wobei er das Kinn in die Hände gestützt und die Knie gegen eine geborstene Planke gestemmt hatte. Die Sterne blinkten intensiv, während der Boden seine Wärme abstrahlte. Im Westen zuckten die Blitze von Wärmegewittern stumm durch Wolkenbänke, die sich im Verlauf des Nachmittags aufgetürmt hatten. Die großen amboßartigen Wolken wirkten wie Gesichter in den kurzen purpurnen und grünen Entladungen.
Das Haus war leer. Seine Tochter war in Kanaan-Stadt zu Besuch bei Jorissa. Nans Besuche bei ihrer Mutter dauerten von Mal zu Mal länger. Dieser Besuch, so vermutete er, würde der längste von allen sein. Er bezweifelte indes, daß sie überhaupt zurückkam.
Er verdrängte das Gefühl, verraten worden zu sein. Was sollte Nan schließlich auch hier; er selbst wußte ja kaum, was er hier noch verloren hatte. Die Farm war nur noch eine Erinnerung und ein Titel auf ein Stück totes Land, das bald von den Gründern requiriert werden
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