Die Macht der verlorenen Zeit: Roman
wurde mit Hilfe eines neuen Wechsels auf eine New Yorker Bank transferiert.
Auf schnellstem Weg kehrten Frederic und John in den Hafen zurück, um die Schiffsunterlagen für den Monat Mai einzusehen und festzustellen, wann genau Robert Blackford nach New York City gereist war.
Im Wagen herrschte Stille. John starrte aus dem Fenster, und Frederic beobachtete ihn. »Liebst du Charmaine?«, fragte er unvermittelt.
Mit gerunzelten Brauen sah John seinen Vater an. »Was meinst du damit?«
»Es ist doch eine ganz einfache Frage.«
»Ja, ich liebe Charmaine.«
Frederic wandte sich ab und sah aus dem Fenster.
»Ist das alles, Vater? Mehr willst du nicht wissen? Ich kenne dich besser. Also, was ist der wirkliche Grund deiner Frage?«
»Mr Harrington hast du diesen Eindruck jedenfalls nicht vermittelt. Der Mann war sichtlich besorgt, aber du hast ihm dieses Gefühl nicht genommen. Als er ging, schien er mir sogar noch beunruhigter als zuvor.«
»Er wird es überleben«, entgegnete John trocken.
»Sicher, aber was ist mit Charmaine? Glaubst du, dass sie es auch überlebt?« Er ließ John einen Moment lang überlegen. »Du hättest ihr sagen können, dass du es für Pierre tust. Das hätte ich verstanden. Aber auf dem Schiff ist es dir in deiner Wut nur um Colette gegangen.«
»Meine Wut , Vater, richtet sich nur gegen dich und sonst gegen niemanden. Willst du wirklich wissen, wie sehr ich dich hasse, weil du mir die kostbaren drei Jahre gestohlen hast, die ich mit meinem Sohn hätte verbringen können? Wenn du Agatha besser durchschaut hättest, könnte Pierre heute noch leben, nicht wahr?«
»So ist es«, räumte Frederic mit leiser Stimme ein. »Aber Charmaine sieht nur ein Gesicht vor sich, wenn du davonläufst, und dieses Gesicht gehört nicht Pierre. Du solltest nach Hause fahren und mir die Suche nach Blackford überlassen.«
»Kommt nicht infrage! Ich lasse mir die Genugtuung nicht nehmen, ihm ins Gesicht zu sehen, wenn ich ihm gegenübertrete! Er wird sich wünschen, bereits gestorben zu sein und in der Hölle zu schmoren!«
»Wir sind aus ähnlichem Holz geschnitzt, mein Sohn, aber möchtest du Charmaine deswegen vielleicht verlieren?«
»Charmaine hat vorher auf mich gewartet, Vater, und sie wird das wieder tun.«
»Bist du sicher? Wie du weißt, liebt dein Bruder sie auch. Das habe ich seinen Augen angesehen.«
John murrte unwillig, aber Frederic nahm keine Rücksicht darauf. » Deinen Augen … denselben Augen, mit denen du Colette nach unserer Hochzeit angesehen hast.«
»Damals waren meine Augen voller Hass.«
»Und voll abgrundtiefem Schmerz und Sehnsucht«, vollendete Frederic. »Seltsam, dass man etwas am meisten begehrt, wenn es unerreichbar geworden ist.«
»Charmaine liebt Paul nicht, sonst hätte sie sich lange vor meiner Rückkehr für ihn entschieden.«
»Ich bete, dass du recht hast. Aber du hast ihr das Herz gebrochen. In ihrem Kummer könnte sie sich in die nächstbesten Arme flüchten, die ihr Trost bieten.«
John war zwar ein wenig verunsichert, doch als der Hafen in Sicht kam, gab es Wichtigeres zu tun. Er nahm sich vor, noch am Abend einen Brief an Charmaine zu schreiben und ihr zu sagen, dass er sie trotz des abrupten Abschieds unverändert liebte.
Gedankenverloren schlug Charmaine eine disharmonische Tonfolge nach der anderen auf dem Piano an. Mercedes und George waren mit den Mädchen in die Stadt gefahren, da Charmaine seit Tagen trüber Stimmung war. Nicht einmal die Nachricht, dass die beiden Nachwuchs erwarteten, hatte sie aufheitern können. In der Stille wanderten ihre Gedanken über den Ozean bis nach Richmond. Mit jedem Tag schwand die Hoffnung, dass John noch anderen Sinnes wurde und zurückkam. Es war dumm gewesen, ihn zu lieben … äußerst dumm sogar! Sie war so in Gedanken versunken, dass sie überhaupt nicht mitbekam, als Paul den Raum betrat.
Einige Augenblicke lang sah er sie an. Sie war in einer traurigen Verfassung, und keiner konnte sie zur Vernunft bringen. Seine Prophezeiung an ihrem Hochzeitstag hatte sich bewahrheitet. Wie leicht es doch wäre, ihre trübe Stimmung auszunutzen und ihre Zweifel zu bestätigen.
Er ging zum Piano und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Es ist ungewöhnlich still im Haus«, sagte er, als sie den Kopf hob. »Wir müssen reden.« Er zog sich einen Stuhl heran und ergriff ihre Hände. »Ich weiß, dass Sie auf John wütend sind, aber so kann das trotzdem nicht weitergehen. Bis zu seiner Rückkehr könnten Wochen
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