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Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Titel: Die Macht der verlorenen Zeit: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DeVa Gantt
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verfugt, während die rückwärtige Wand aus Ziegelsteinen bestand, die direkt ins Erdreich des Hügels eingebettet waren. Davor standen drei hohe Regale, auf denen Wein, Gemüse und exotische Früchte lagerten. Entzückt stellte Benito fest, dass das hinterste Regal zwei Fuß breit von der rückwärtigen Mauer entfernt stand. Der Zwischenraum war zwar eng, aber immerhin so breit, dass man dahinterkriechen konnte.
    In den ersten beiden Wochen hatte Benito tagtäglich sein Pech verflucht. Sein Plan, die Insel am Jahresende zu verlassen, war in weite Ferne gerückt. Er hatte zwar einen möglichen Verrat bei seinen Plänen berücksichtigt, doch als Blackford verschwand und Agatha von der Insel verbannt wurde, schien die Gefahr vorüber. Mit dieser Entwicklung hatte er jedoch nie und nimmer gerechnet. Bevor er die Insel jetzt verlassen konnte, musste er sich erst einmal aus dieser Zelle befreien. Solange ihm genügend Zeit blieb, hatte er eine Chance. Keine zwei Wochen später stand sein Plan fest.
    George oder Paul sahen zweimal in der Woche nach dem Rechten. Manchmal öffneten sie die Tür, doch wenn er sie nur auf der anderen Seite reden hörte, wusste er, dass draußen ein Mann auf Posten stand. John und Frederic hatte er seit den ersten Tagen nicht mehr gesehen und konnte nur vermuten, dass sie die Insel verlassen hatten und nach Blackford suchten. Was genau aus Agatha geworden war, wusste er nicht, und er fragte sich öfter, wie ihre Machenschaften ans Tageslicht gekommen waren.
    Zweimal am Tag bekam er etwas zu essen: früh am Morgen und dann wieder ungefähr um fünf Uhr. Um diese Zeit wurde auch sein Nachttopf geleert und gereinigt. Sie hatten Buck Mathers vom Hafendienst abgezogen und mit der Betreuung des Gefangenen beauftragt. In seiner Gegenwart einen Fluchtversuch zu wagen wäre Giovanni nie in den Sinn gekommen. Stattdessen nutzte er die Zeit für kurze Gespräche, um mit dem Mann Kontakt aufzunehmen und sein Vertrauen zu gewinnen. Buck war fromm und besuchte mit seiner Frau und seinen fünf Kindern regelmäßig die Messe. Genau wie die anderen Inselbewohner konnte auch er kaum glauben, dass man einen Priester der Erpressung beschuldigte. Der Erpressung wegen zweier Mordfälle, wohlgemerkt.
    »Ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte«, sagte Benito eines Abends zerknirscht.
    Buck sah von seinem Stuhl herüber, den er direkt an der Tür postiert hatte.
    »Frederic Duvoisin muss doch wissen, dass ich an das Beichtgeheimnis gebunden bin.« Verstohlen sah er zu Buck hinüber und freute sich über den verdutzten Gesichtsausdruck des Schwarzen. »Die Beichte seiner Frau zu hören hat mich sehr geschmerzt, aber ich durfte ihre schreckliche Sünde doch nicht enthüllen!«
    »Nach allem, was ich weiß, gab es keine Beichte«, erwiderte Buck kurz angebunden. »Sie haben Agatha Duvoisin erpresst.«
    »Es betrübt mich, das sagen zu müssen, aber sie war eine hinterhältige Person. Ich dachte, sie wolle mir Geschenke machen, um ihr Gewissen zu beruhigen. Wenn ich geahnt hätte, dass sie mich nur in die Sache hineinziehen wollte …«
    Eine ganze Woche lang sagte er nichts mehr, damit Buck sich die Bemerkungen in Ruhe durch den Kopf gehen lassen konnte.
    Dann stahl er eines Tages einen Löffel vom Tablett und freute sich, als die Sache unentdeckt blieb. Abends überlegte er, wo er graben solle und wie er das Loch verbergen könne. Mit Hilfe des Löffels legte er den untersten Stein der kaum befestigten Mauer frei, woraufhin sich weitere Steine wie Maschen in einem Strickzeug lockerten. Als das Loch groß genug war, fügte er die Steine wieder sorgfältig ein. Damit man das Loch nicht entdeckte, musste er zuerst die Anordnung der Gegenstände auf dem Regal verändern. Am ersten Tag verrutschte er einen Sack mit Früchten, am nächsten einige Einmachgläser, dann einen Eimer oder einen Korb, bis die Stelle langsam, aber unmerklich vollkommen verdeckt war. Dann grub er stundenlang im kümmerlichen Licht, das durch das winzige Gitterfenster in der Felsenmauer hereindrang, und beendete die Arbeit eine halbe Stunde, bevor Buck ihm das Essen brachte. Er füllte einen Eimer bis zum Rand, verteilte die Erde anschließend gleichmäßig auf dem Boden und trampelte sie fest. Er konnte nur beten, dass er durchbrach, bevor seine Zeit ablief.
    Seine ehrliche Reue hatte ihm Bucks Sympathie eingetragen, und wenn er ihm das Essen brachte, konnte Giovanni hin und wieder sogar so etwas wie Mitgefühl in seinen Augen lesen.

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