Die Macht der verlorenen Zeit: Roman
mit einer Schachtel Süßigkeiten und einem kleinen Gedichtband den Laden. Vor Monaten hatte Paul bereits ein Schaukelpferd bestellt, das inzwischen angekommen war und später nach Hause geliefert werden sollte.
Die Mädchen neckten ihn. »Das Baby kann doch frühestens im nächsten Jahr reiten!«
»Das ist doch egal. Wenn es das kann, hat es jedenfalls schon ein Pferd.« Er hatte seinen Spaß. »Ich bin sicher, ihr beiden werdet es ihm schnellstens beibringen.«
»Du bist schon genau wie Johnny!«, rief Yvette.
»Ich nehme das als Kompliment.«
»War es auch.«
Als sie die Straße überquerten, hörten sie vom Hafen her lautes Rufen. Wie immer war der Pier voller Menschen, die das ankommende Schiff begrüßten. Paul hastete mit den Mädchen durch die Menge, die bereitwillig Platz machte, bis sie vor dem hoch aufragenden Schiffsrumpf standen. Er ermahnte seine Schwestern, sich nicht von der Stelle zu rühren. Zwar konnte er keine Anzeichen von John oder seinem Vater entdecken, aber bestimmt brachte der Segler Neuigkeiten mit, da er vermutlich aus Richmond kam. Noch bevor die letzten Taue befestigt waren, kletterte Paul an Bord.
Sichtlich erleichtert stürzte der Kapitän auf ihn zu.
»Was ist los, Gregory?«, fragte Paul besorgt. »Bringen Sie Neuigkeiten von meinem Vater oder John?«
»Nein, Sir, leider nicht, aber ich habe wichtige Dokumente an Bord, die ich im Auftrag von Stuart Simons sofort nach dem Anlegen an Sie übergeben soll.« Er zückte eine Mappe mit Papieren. Sie bestätigten, was Paul bereits vermutet hatte: John Ryan befand sich an Bord.
»Verzeihen Sie, Gentlemen!«, rief er in die Runde, um die Matrosen zum Schweigen zu bringen. »Ich bin auf der Suche nach einem gewissen Mr Ryan.«
John Ryan war nicht im Geringsten überrascht, als er seinen Namen hörte. Nach Stuart Simons Angaben suchte Paul Duvoisin tüchtige und verlässliche Arbeiter. Da er von seiner vorbildlichen Arbeit in Richmond erfahren hatte, wollte er ihn sehen, sobald er in Charmantes ankam. Ryan lachte insgeheim. Wie dumm konnte ein Mann sein? Lächelnd trat er einen Schritt nach vorn.
»Mr Ryan?«, fragte Paul mit gerunzelter Stirn. »Mr John Ryan?«
»Genau der bin ich.« Ryan nickte und streckte seinen Brustkorb hervor.
»Sie sind genau der Mann, den ich gesucht habe.« Paul verbarg seinen Widerwillen hinter einem Lächeln. »Diesen Unterlagen zufolge waren Sie meinem Bruder eine unschätzbare Hilfe. Ich bin der Meinung, dass ich Sie für die Arbeit im Versammlungshaus sehr gut brauchen kann.«
»Oh, ich bin wirklich ein tüchtiger Mann. Ich hoffe nur, dass der Lohn auch dementsprechend ist.«
»Vermutlich sogar besser«, versicherte Paul und legte dem Mann vertrauensvoll den Arm um die Schulter. »Und das bei freier Kost und Unterkunft.«
Ryan war neugierig geworden und ließ sich die Gangway hinuntergeleiten. Endlich war sein Schiff im richtigen Hafen eingelaufen!
Misstrauisch betrachteten Yvette und Jeannette den seltsamen Freund ihres Bruders. »Hallo, Mädchen«, rief Paul schon von Weitem. »Wir treffen uns bei Dulcie zum Mittagessen. In zehn Minuten bin ich dort.«
»Wer ist er?«, fragte Yvette, als Paul keine Anstalten machte, ihnen den Mann vorzustellen.
»Mein Name ist Ryan«, antwortete der Mann. »John Ryan.«
Paul fluchte innerlich, als er das Mienenspiel seiner Schwestern beobachtete. Offensichtlich kam ihnen der Name bekannt vor.
Yvette erholte sich am schnellsten und sah Paul an. Als er eine Grimasse zog und unmerklich den Kopf schüttelte, verstand sie. Sie packte Jeannette am Arm und zog sie den Kai entlang mit sich fort. »Na gut, dann bis gleich, Paul.«
Paul dankte Gott für diese kluge Schwester und wandte sich wieder seinem Begleiter zu. »Meine Schwestern«, bemerkte er beiläufig. Dann deutete er zum Versammlungshaus. »Sollen wir?«
Ryan nickte, woraufhin Paul ihn auf dem Weg mit allerlei Geschichten unterhielt. Vor der Treppe ließ er den älteren Mann vorangehen. Nachdem sie eingetreten waren, schloss er die Tür und lehnte sich dagegen.
Als Paul schwieg, huschten Ryans Blicke durch den leeren Raum. »Nun … was soll ich denn hier tun?«
»Beten«, sagte Paul mit leiser Stimme.
»Beten?« Angesichts der Antwort lachte der Mann laut heraus.
»Genau das, Mr Ryan.« Pauls Miene verdunkelte sich. »Am besten fangen Sie gleich damit an. Soviel ich weiß, werden Sie von der Polizei gesucht.« Als der Mann völlig verständnislos dreinblickte, verschränkte Paul die Arme vor der
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