Die Macht der verlorenen Zeit: Roman
bereute er sein Handeln und sehnte sich nach nichts mehr als nach Vergebung. Aber weit und breit war keiner da, der ihn getröstet oder seinen Schmerz verstanden hätte.
Es war mucksmäuschenstill geworden, und die Minuten schlichen dahin.
»Als ich nach Pierres Tod nach Richmond zurückfuhr«, begann John, »habe ich mich Millionen Mal gefragt, warum ich ihn nicht besser beschützt habe. Wie konnte ich ihn nur allein lassen? Ich hätte wissen müssen, dass er nach mir suchen würde, wenn er aufwacht. Beim Dinner hatte er es sogar angekündigt! Ich hätte es voraussehen müssen!«
Er seufzte, um den Schmerz in seiner Brust einzudämmen. »Auch in der Nacht, als er starb, war ich nicht an seiner Seite! Charmaine hat mich damals gesucht und es mir gesagt. Sie war ebenso verzweifelt wie ich. Sie hätte mir Vorhaltungen machen können, aber das kam ihr nicht in den Sinn. Stattdessen stand sie mir bei. Noch Monate später, als ich nicht mehr leben wollte, habe ich mich an ihre Worte geklammert …«
Dann richtete er sich auf und fuhr fort: »Nein, Pierre hat nicht nach mir gesucht«, sagte er mit rauer Stimme. »Aber wenn ich ihn ernst genommen hätte, hätte ich den Raum nicht verlassen, und Blackford hätte keine Chance gehabt! Manchmal passieren die Dinge direkt vor deiner Nase … ganz offen … und trotzdem siehst du es nicht.« Er blickte Frederic an und suchte nach Worten. »Auch Colettes Tod war nicht deine Schuld, Vater. Ich war unendlich wütend, als ich herausfand, was geschehen war. Aber ich hätte dich niemals dafür verantwortlich machen dürfen! Agatha und Blackford waren die Schuldigen, aber nicht du!«
Er kehrte zum Schreibtisch zurück und griff nach der Feder.
Verblüfft wandte Michael den Kopf und wurde von Stolz erfüllt, als er die Erleichterung und Hoffnung auf Frederics Gesicht bemerkte. Charmaines Einfluss hatte diesen verwundeten Seelen den Weg gewiesen! Er war so glücklich wie seit drei Jahren nicht mehr. Marie war nicht mehr da, doch ihre Großmut und ihr Mitgefühl lebten fort. Aus diesem Grund war er Priester geworden und trotz aller Selbstzweifel geblieben. Er schloss die Augen und schickte ein Dankgebet zum Himmel.
Dienstag, 2. Oktober 1838
Als Jeannette den Wagen kommen hörte, lief sie auf den Balkon, und ihre Schwester rannte hinterher. Charmaine blieb das Herz stehen, und das Baby versetzte ihr einen kräftigen Tritt. Aber dann eilte auch sie durch die Glastüren hinaus. John! Er ist verletzt, und sie bringen ihn im Wagen nach Hause, weil er nicht mehr … Sie weigerte sich, den schrecklichen Gedanken zu Ende zu denken.
Ein unbekannter Wagen bog in die Einfahrt ein. Sie starrte diesen einen Augenblick an, aber dann fasste sie sich und folgte den Zwillingen nach unten. Sie traten gerade auf die Veranda hinaus, als die Tür des Wagens aufsprang und Joshua Harrington herauskletterte und sich umdrehte, um seiner Frau beim Aussteigen zu helfen.
»Mrs Harrington!« Völlig überrascht, erleichtert und ein klein wenig enttäuscht, schnappte Charmaine nach Luft. »Mr Harrington! Welch eine Überraschung!« Sie rannte die Stufen hinunter und fiel Loretta um den Hals.
»Meine liebe Charmaine!« Loretta standen die Tränen in den Augen, als sie die junge Frau auf Armeslänge von sich hielt und sie von Kopf bis Fuß betrachtete. »Es ist also wahr!«
Charmaine errötete. »Ja, es ist wahr! Haben Sie denn meinen Brief nicht bekommen?«
Loretta schüttelte den Kopf, aber das Glück in Charmaines Augen sagte ihr, dass es offenbar nicht so schlecht stand, wie ihr Mann und sie befürchtet hatten.
Yvette und Jeannette traten nach vorn und wurden mit den Besuchern bekannt gemacht.
Charmaine schnalzte mit der Zunge. »Wo sind nur meine Manieren? Sie hier in der prallen Sonne stehen zu lassen! Kommen Sie ins Haus! Drinnen ist es angenehm kühl.«
Joshua wollte das Gepäck entladen, aber Charmaine tadelte ihn. »Lassen Sie das, Mr Harrington! Travis wird ihr Gepäck nach oben bringen.«
Sie führte ihre Gäste ins Haus und bat Travis, die Sachen der Harringtons hereinzuholen. »Bringen Sie das Gepäck in Master Johns früheres Zimmer. Dort haben sie es bequem.«
Der Mann nickte und lächelte. »Sehr wohl, Miss Charmaine.«
Loretta und Joshua wechselten erstaunt einen Blick. Charmaine war wahrlich zu einer Mrs John Duvoisin gereift. Aber war Frederics Frau Agatha mit dem Benehmen der jungen Frau auch einverstanden? Sie ließen sich im Wohnraum nieder, und Charmaine läutete nach einer
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