Die Macht der verlorenen Zeit: Roman
nur um Pierre allein.«
»Aber du hast dich doch geändert, Papa! Warum hasst du denn Johnny noch immer?«
»Ich hasse ihn nicht, Yvette. Er ist doch mein Sohn.«
»Aber warum kommt er dann nicht?«
»Weil er wütend auf mich ist.«
»Und warum?«, fragte Jeannette bekümmert.
»Ich habe vieles in meinem Leben falsch gemacht und Dinge getan, die John tief verletzt haben.«
»Was denn?«
»Ihr seid noch zu jung, um diese Dinge zu verstehen«, antwortete Frederic. »Ich kann sie euch nicht richtig erklären.«
»Warum entschuldigst du dich dann nicht einfach bei ihm?«, fragte Yvette. »Mademoiselle Charmaine sagt immer, dass wir uns für unsere Fehler entschuldigen müssen.«
»Das ist gar nicht so einfach …« Seine Stimme erstarb.
»O doch! Es ist sogar ganz einfach!«, widersprach Jeannette. »Ich habe eine Idee, Papa. Du kannst Johnny doch einen Brief schreiben und ihm sagen, dass es dir leidtut. Wir helfen dir auch dabei, nicht wahr, Yvette?«
»O ja! Das wird die beste Entschuldigung von allen. Außerdem kannst du ihm schreiben, dass er zu Pauls Fest kommen soll!«
»Na los, Papa, wir holen Papier! Bitte .«
»Vielleicht habt Ihr ja sogar recht.« Frederic schien zu überlegen. »Also gut, fangen wir an und sehen, was wir zustande bringen.«
Charmaine standen die Tränen in den Augen, als sie ihr Zimmer verließ. Sie dankte dem Himmel und hoffte sehr, dass John diese Einladung mit offenem Herzen annehmen konnte.
Später am Nachmittag thronte Frederics Brief zuoberst auf dem Tisch in der Halle. Im Vorbeigehen bemerkte Agatha die Handschrift ihres Mannes und las mit gerunzelten Brauen die Adresse. Dieser Brief an den verlorenen Sohn gefiel ihr ganz und gar nicht.
Paul beugte sich näher zum Spiegel und nestelte an seiner Krawatte. Die Sonne sank schnell, sodass er sein Spiegelbild kaum mehr erkennen konnte. Travis hätte längst die Lampen anzünden müssen. Er hätte es auch selbst besorgt, wenn er die Zündhölzer nur irgendwo gefunden hätte. Leise fluchend löste er den Knoten zum wiederholten Mal und begann noch einmal von vorn. Nach einem harten Tag sollte sich ein Mann nicht mehr mit korrekter Kleidung oder ähnlichem Unsinn herumschlagen müssen. Paul hatte den größten Teil des Nachmittags auf den Zuckerrohrfeldern verbracht, weil eine Presse ausgefallen war und Gefahr bestand, dass die Hälfte der Ernte verlorenging. Er hatte sogar den Ausflug mit Charmaine absagen müssen. Trotzdem hatte er diese Probleme leichter gemeistert als ausgerechnet den Krawattenknoten. Ärgerlich beugte er sich wieder zum Spiegel.
Irgendwann erschien auch Travis.
»Wer hat Sie denn so lange aufgehalten?«, fragte Paul nervös.
»Mr Westphal, Sir.«
»Verdammt! Verspätet sich dieser Mensch denn nie?«
»Ich fürchte, nein, Sir.«
Der Butler wollte noch etwas hinzufügen, besann sich aber eines Besseren und eilte mit ausgestreckten Armen auf Paul zu. »Erlauben Sie, Sir.« Er lächelte, als Paul ergeben die Arme sinken ließ. »Was Sie brauchen, Master Paul«, bemerkte er, während er die Krawatte knotete, »ist eine Frau, die sich mit derlei Dingen auskennt.«
Paul schnaubte nur. »Wenn ich jemals eine Frau heirate, so ganz bestimmt nicht, damit sie mich anzieht.«
Travis lächelte verlegen. Er konnte sich einfach nicht an die direkte Redeweise von Frederics Söhnen gewöhnen. Für ihn waren sie noch immer die kleinen Jungen, denen er nachrennen musste, um sie vor Schaden zu bewahren. »Ich denke«, sagte er und seufzte, »so ist es in Ordnung.«
»Vielen Dank.« Anerkennend klopfte Paul auf den Knoten.
»Sir, Sie sollten vielleicht wissen, dass Mrs Duvoisin Mr Westphal augenblicklich Gesellschaft leistet.«
Paul zuckte die Schultern. »Sehr gut, wenn sie zuerst mit ihm spricht. Dann werden Vater und ich später nicht so oft unterbrochen.«
»Gewiss, Sir.«
»Und wo ist mein Vater?«
»Er kam erst spät mit den Mädchen zurück, Sir. Ich werde mich anschließend um ihn kümmern.«
Paul brummte nur. Unwillkürlich musste er an Colette denken und daran, wie selten sein Vater im ersten Jahr seiner Ehe die Hilfe seines Butlers in Anspruch genommen hatte. Eine Frau …
Mit gesenktem Kopf verließ er sein Ankleidezimmer und stieß auf dem Flur mit Charmaine zusammen. Er fing sie auf, damit sie nicht stürzte, und gab sie sofort wieder frei. Er entschuldigte sich mit ernster Miene und eilte die Treppe hinunter, während Charmaine ihm verwundert nachsah.
Zu Pauls Erleichterung verlief das Dinner in
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