Die Macht der verlorenen Zeit: Roman
Gesicht. »Und was?«
Frederic druckste etwas herum. »Ich habe John zu deinem Fest eingeladen.«
» Wie bitte? Und warum, in Gottes Namen?«
»Weil Jeannette und Yvette mich darum gebeten haben.«
Paul fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ich glaube nicht, dass er kommt.«
Frederic wirkte mutlos. »Mag sein, dass du recht hast, doch ich hoffe auf das Gegenteil.«
»Den Mädchen zuliebe«, ergänzte Paul.
»Und mir zuliebe. Ich möchte die Dinge gern in Ordnung bringen, auch wenn es sehr spät ist.«
»Es war nicht deine Schuld, Vater. Nichts von alledem war deine Schuld.«
»O doch, es war meine Schuld«, widersprach Frederic. »Er hat Colette geliebt, Paul, und zwar mehr, als ich jemals wahrhaben wollte.«
Paul lag eine spöttische Bemerkung auf der Zunge, aber Frederics ernste Miene ließ ihn schweigen.
»Pierres Tod hat alles zurechtgerückt«, fuhr sein Vater fort. »Alles. Es war einfacher und sicherer, Johns Gefühle nicht zur Kenntnis zu nehmen, aber damit habe ich uns allen das Leben zur Hölle gemacht – auch dir. Du musstest Partei ergreifen, und damit habe ich die wunderbare Kameradschaft zwischen John und dir zerstört. Ich hätte ihm Colette niemals wegnehmen dürfen.«
»Hatte Colette etwa nichts dazu zu sagen?«, entgegnete Paul heftig.
Frederics Blick wurde hart, doch er schwieg.
Vernehmlich stieß Paul die Luft aus. »Ich verstehe dich nicht. John hatte inzwischen mehrere Monate Zeit, um über die Tragödie hinwegzukommen. Genau das war es – eine schreckliche Tragödie. Willst du wirklich die Büchse der Pandora noch einmal öffnen? Wenn John sich entschließt zu kommen, dann ganz sicher nicht, um die Dinge in Ordnung zu bringen.«
»Das müssen wir abwarten. Auf jeden Fall möchte ich versuchen, dass wir mehr aufeinander zugehen – als Familie.«
Pauls Ärger verflüchtigte sich, und er verspürte mit einem Mal Gewissensbisse. »Also gut, Vater. Ich werde John zu Hause willkommen heißen. Ich hoffe nur, dass er die Einladung auch so versteht, wie sie gemeint ist.«
Mittwoch, 9. Februar 1838
Zwei Tage lang führte Agatha nun schon ein Bewerbungsgespräch nach dem anderen. Seit dem frühen Montagmorgen pilgerte ein unablässiger Strom von Menschen den neun Meilen langen Weg zum Herrenhaus, um eine der fünfzehn Stellen zu ergattern, die es anlässlich der Einweihung von Espoir zu besetzen galt. Ein gewichtiger Grund war außerdem der Wunsch, das Herrenhaus der Duvoisins einmal von innen zu sehen. Selbst die Bewerber, deren Namen es nicht bis ins Notizbuch der Hausherrin schafften, verabschiedeten sich mit einem zufriedenen Lächeln.
Yvette und Jeannette stahlen sich bei jeder nur möglichen Gelegenheit aus dem Kinderzimmer davon, um die vielen Fremden entlang der Auffahrt zu beäugen und Wetten abzuschließen, wer wohl zu den Glücklichen gehören würde.
Travis Thornfield geleitete die Bewerber einen nach dem anderen durch die große Halle und weiter ins Arbeitszimmer. Die wenigen, die vor Agathas kritischen Augen Gnade fanden, brachte er anschließend in den Ballsaal, wo Jane Faraday und Fatima Henderson sich ihrer annahmen. Alle Übrigen durften noch einige Zeit in der Säulenhalle verweilen, bevor sie sich auf den Heimweg machten.
Als der Abend nahte, klappte Agatha ihr Notizbuch zu und lehnte sich zurück.
»Fertig?«
Frederics Frage riss sie aus ihrer Versunkenheit. Sie nickte zufrieden.
»Ich habe drei Köchinnen und sechs Hausmädchen für Espoir engagiert, und Fatima hat außerdem noch zwei Köchinnen für uns ausgesucht. Am Morgen vor dem Ball werden die neuen Kräfte aus Espoir hierher nach Charmantes kommen, um unseren Leuten unter die Arme zu greifen. Den kommenden Monat über wird Jane die neuen Hausmädchen anlernen. Auch die vier, die ich für unseren Haushalt zusätzlich engagiert habe. Alle zehn werden bestens arbeiten, weil sie wissen, dass später auf Espoir nur fünf Kräfte benötigt werden. Außerdem hat sich Anne London netterweise erboten, fünf Diener und Serviermädchen von ihrem Landgut hierherzubeordern, die eine Woche vor dem Bankett eintreffen dürften.«
»Du erfüllst deine Rolle als Hausherrin wirklich mit der notwenigen Autorität, Agatha«, lobte Frederic. »An dieses Fest wird man sich noch nach Jahren erinnern.«
Agathas Herz war von Stolz erfüllt. »Ich danke dir, Frederic«, murmelte sie unter Tränen. »Wenn du schon so viel Geld investierst, muss doch auch ich mein Bestes geben. Aber ich mache es natürlich auch für Paul. Ich
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