Die Macht des Amuletts
verschwunden.
SIEBZEHN
Wir sehen jeden auf allen Seiten und keiner sieht uns.
I RISCH , ANONYM
»Katie hat gesagt, ich soll dir das geben.« Sein Vater reichte ihm einen Zettel. Mick faltete ihn auseinander und las.
Um Gottes willen, Mick, ich will nur mit dir reden! Triff mich heute Abend um acht beim Apollo-Springbrunnen. Bitte!
Katie
PS. Komm ALLEIN.
Mit einem schiefen Lächeln knüllte er den Zettel zusammen und schob ihn in die Tasche. Arme Katie. »Was suchst du?«, fragte er träge seinen Vater. Mr Carter knallte die Schublade zu. »Seit neuestem kann ich anscheinend gar nichts mehr finden!« Mick grinste. Als sein Vater sich wieder vorbeugte, hatte der kleine Mann mit dem runzligen Gesicht, der auf dem Aktenschrank saß, die Papiere auf dem Schreibtisch durcheinander geworfen. Die Hälfte davon fiel auf den Boden. Mr Carter fluchte. »Mach dieses verdammte Fenster zu!« Mick gehorchte und lachte dabei in sich hinein. Vier von ihnen waren im Zimmer. Niemand konnte sie sehen außer ihm. Sie schienen keine Namen zu haben; sie sprachen selten. Aber er hatte keine Angst mehr vor ihnen.
»Hier ist es!« Sein Vater stand auf, er hielt einen Computerausdruck in der Hand. »Programm für die Erntefestnacht. Ablauf für das Schlusskonzert. Und das Ritual, obwohl das in jedem Jahr das gleiche ist. Ich brauche aber Leute für die Rollen. Hast du Lust, Kornkönig zu sein?« Die Erwähnung des Erntefests ließ Mick frösteln. Rowan hatte gesagt, das sei die Nacht, in der sie abreisen werde. Sie wollte, dass er mitkam in das Land der Jungen, wie sie es nannte, aber er war nicht sicher, was sie meinte; immer neckte sie ihn. Ein anderer Jahrmarkt vielleicht, das Leben auf der Straße, das Dasein als Musiker. Und warum sollte er nicht mitgehen? Wenn es schief ging, konnte er zurückkommen; er würde manchmal zu Hause anrufen, damit sie sich keine Sorgen machten. Sie hatten ja Anna. Sein Vater nahm Papiere vom Schreibtisch und stieß dabei ein kleines Foto um. Bevor der runzlige Kobold ihn aufhalten konnte, hatte Mick es aufgehoben und umgedreht. Seine Mutter schaute ihn an. Sie saß auf einer grünen Bank, hatte die Hände um die Knie gefaltet und lächelte. Das gelbe Sommerkleid war altmodisch und ausgebleicht. Einen Moment lang war ihm völlig klar, dass alles, was er sich gerade eingeredet hatte, Lügen waren. Er wusste, dass er in Gefahr war, in einer schrecklichen, ungeheuren Gefahr, die er kaum begreifen konnte. Dann nahm ihm sein Vater sanft das Foto aus der Hand und betrachtete es.
»Ich meine, wir sollten bald miteinander reden, Mick. Über das nächste Schuljahr.«
Weit entfernt auf dem Jahrmarktfeld begann eine Trommel anhaltend zu schlagen. Das unsichtbare Mädchen schaute auf, ihre Augen glänzten. Mick schüttelte den Kopf, als wollte er ihn klären. »Was?« »Vielleicht wenn der Jahrmarkt vorbei ist und ich mehr Zeit habe.«
»Soll das heißen, du lässt mich Musikstunden nehmen?« »Ich habe nicht ... Nun, wir müssen uns alle Möglichkeiten anschauen, nicht wahr? Lass dir Zeit.« »Nicht nötig. Ich habe mich entschlossen.« Er stand auf und ging schnell hinaus, das Trommeln war jetzt in seinen Handgelenken und in seiner Brust.
Michael Carter schaute ihm nach. Er fühlte sich schuldig. Mick sah bleich aus. Sie sollten miteinander etwas unternehmen, er würde sich dafür Zeit nehmen müssen. Alle vier, wie eine ordentliche Familie. Er stellte das Foto seiner ersten Frau zurück und lächelte ihr reumütig zu. »Du hättest gewusst, wie man damit umgeht«, murmelte er.
Ein Windzug wirbelte die Papiere hoch und hätte das Bild umgeworfen, wenn Michael Carter es nicht festgehalten hätte. Wütend schaute er zum geschlossenen Fenster. Draußen auf dem Korridor lachte jemand.
Im Hauptzelt war ein Konzert; selbst von hier aus konnte Katie das tiefe Dröhnen des elektronischen Basses hören. In den Gärten dunkelte es, die ersten Motten kamen heraus. Sie fröstelte und wünschte, sie hätte sich einen Pullover mitgebracht. Dann schlug die Stalluhr die Viertelstunden und sie wusste, dass es halb neun war.
»Du Miststück, Mick«, flüsterte sie. »Zu ängstlich, um auch nur mit mir zu reden.«
Sie wusste, dass er im Herrenhaus war. Ein Licht brannte in seinem Zimmer hoch oben in dem düsteren Gebäude und zuvor hatte sie die Flöte gehört, zart und fremdartig, mit einem alten Folksong, den sie aus halb vergessenen Erinnerungen kannte.
Sie stand auf und ging unter dem stillen
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