Die Macht des Amuletts
Zimmer. Vorsichtig öffnete sie die Tür nur einen Spalt. »Bist du wach?«, flüsterte sie. Keine Antwort.
Das Zimmer war dunkel und luftig. Als sie die Tür weiter öffnete, rieselte eine Kaskade von Tönen von der Decke. Sie runzelte die Stirn und glaubte, das würde ihn wecken, aber in dem dunklen Bett regte sich nichts. Das Fenster stand weit offen und Sandy wollte es schließen, als sie das ferne Dröhnen des elektronischen Basses und aus der Nähe andere Musik hörte, ein leises Flöten, das sie mit den Händen am Riegel innehalten und hinunterschauen ließ. Es kam vom See; dort sah sie jetzt kleine Lagerfeuer, um die sich Schatten bewegten. Wer zeltete dort? Michael wäre wütend, wenn er es wüsste.
Sie beschloss, es ihm nicht zu sagen. Er hatte genug Sorgen. Der Mond stand am Himmel, ein heller Kreis, der ihr direkt ins Gesicht schien, und als sie sich umdrehte, verdunkelte ihr Schatten das Bett. Sie trat zur Seite und es wurde von Licht überflutet.
Es war leer.
Sie starrte es furchtsam an, dann schaute sie sich benommen um.
»Mick?«
Die Glockenspiele klimperten ihren silbrigen Spott.
Die Tür zum Bad stand offen, der Raum war leer. Mick war nicht darin. Sandy ging durchs Mondlicht und berührte das Kopfkissen; es war kalt, darunter lag der Schlafanzug.
Langsam drehte sich Sandy um und schaute hinaus zu den Lagerfeuern.
Katie hörte, wie die Tür zuschlug und die Riegel vorgeschoben wurden. Mit einem Wutschrei stürzte sie die Treppe hinauf, warf sich gegen das Holz und hämmerte mit beiden Fäusten dagegen. Es war sinnlos und sie wurde noch zorniger auf sich, weil sie es versuchte. Fluchend drehte sie sich um, hob die Taschenlampe auf und betrachtete ihr Gefängnis. Es schien ein Keller zu sein. Es war sehr dunkel, die Decke bestand aus einer Reihe von Bögen, die sie über ihrem Kopf berühren konnte; sie senkten sich auf einen schattigen Wald stämmiger Säulen herab. Es stank nach Feuchtigkeit und alten Weinfässern. Große Gespinste aus uralten Spinnweben hingen überall, schwarz von jahrhundertealtem Schmutz. Steinplatten bedeckten den eisig kalten Boden. Katie schaute auf ihre Armbanduhr. Neun Uhr fünfzehn. Vorsichtig ging sie die Stufen hinunter und blieb stehen, sie wusste nicht, ob sie allein war oder nicht. Etwas raschelte nicht weit von ihr. Ratten. Das hatte ihr noch gefehlt. Langsam bewegte sie sich vorwärts, duckte sich unter den Spinnweben und hielt die Taschenlampe hoch, damit sie sah, wohin sie die Füße setzte. Ihr Atem stieg in einer schwachen Wolke auf. Zweimal stieß sie an Fässer und Kisten; ein Deckel fiel herunter mit einem Krach, dessen Echo von den Wänden hallte.
Sie wartete, ihr Herz klopfte laut. Staub stieg auf und legte sich wieder; der Keller erstreckte sich bis weit in die Ferne. Sie beugte sich vor und griff in das nächste Fass; ein Seil lag darin, eine alte Rolle, und etwas Weiches, Moderiges; sie zuckte zurück.
Jetzt standen die Säulen dicht um sie herum; sie schienen endlos zu sein und Katie erkannte, dass die unterirdischen Räume sehr weitläufig waren, vielleicht lagen sie unter ganz Stokesey.
Falls sie noch in Stokesey war und nicht in irgendeiner ganz anderen Dimension.
»Sei nicht albern«, zischte sie sich an. Sie legte die Taschenlampe weg, holte tief Luft und schrie aus vollem Hals »Hallo!«.
»Ich bin eingeschlossen! HALLO!«
Das Echo nahm es flüsternd und polternd auf, doch selbst für Katie klang es kläglich. Sie stellte sich all die leeren Räume vor, die Korridore und Treppen mit ihren Schatten, die über ihr sein mussten, und hoch oben im Haus Sandy auf dem Sofa vor dem Fernseher. Es war hoffnungslos.
Sie musste irgendeinen Weg hinaus finden. Eine Stunde lang wanderte sie zwischen den Säulen des Kellers hindurch, fror immer mehr, wurde gereizter und schmutzig.
Und ängstlich, weil sie inzwischen jeden Orientierungssinn verloren hatte. Säulen und Fässer und Wände aus fettigem kalten Stein verwirrten sie, und als sie stolperte und feststellte, dass sie wieder auf der Treppe kniete, war sie so erschöpft und entmutigt, dass sie sich in den Staub setzte und fröstelte.
Sie lehnte sich an die Wand, schlang die Arme um die Knie und versuchte sich zu wärmen. Denk nach!, befahl sie sich entschlossen.
Aber nichts kam ihr in den Sinn außer der Bitterkeit von Micks Spott, das Aufblitzen der Sonnenscheibe, als sie über das Sims geflogen war, sein merkwürdiges, kaltes Lächeln. Und was Rowan gesagt hatte. Konnten sie wirklich
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