Die Macht des Zweifels
wach, das spürt er. »Gehtâs dir gut?« fragt er.
Sie dreht sich zu ihm um, die Augen in der Dunkelheit ausdruckslos. » Dir etwa?«
Er schlieÃt sie in die Arme und vergräbt das Gesicht an ihrem Hals. Sie einzuatmen beruhigt Caleb. Seine Lippen fahren über ihre Haut, verweilen auf ihrem Schlüsselbein. Er neigt den Kopf zur Seite, so daà er ihren Herzschlag hören kann.
Er sucht nach einem Ort, um sich selbst zu verlieren.
Also bewegt sich seine Hand von der Mulde ihrer Taille zu der Erhebung einer Hüfte, gleitet unter den dünnen Stoff ihres Slips. Nina atmet schwer. Sie empfindet es also auch. Sie muà einmal die Gegenwart vergessen, alles vergessen.
Caleb greift noch tiefer und schmiegt seine Handfläche an sie. Nina packt sein Haar so fest, daà es fast weh tut. »Caleb.«
Er ist jetzt hart, schwer gegen die Matratze gedrückt. »Ich weië, murmelt er und läÃt einen Finger in sie hineingleiten.
Sie ist knochentrocken.
Nina reiÃt an seinem Haar, und diesmal rollt er von ihr herunter. Das hat sie schon die ganze Zeit gewollt. »Was ist bloà los mit dir?« schreit sie. »Ich will das nicht. Ich kann nicht, jetzt nicht.« Sie schlägt die Decke zurück und stapft aus dem Schlafzimmer in die Dunkelheit.
Caleb blickt nach unten, sieht den kleinen Fleck, den er auf dem Laken hinterlassen hat. Er steigt aus dem Bett und deckt ihn zu, damit er ihn nicht mehr sehen muÃ. Dann folgt er Nina, findet sie, indem er einfach seinem Instinkt folgt. Eine ganze Weile bleibt er in der offenen Tür zum Zimmer seines Sohnes stehen und sieht Nina dabei zu, wie sie Nathaniel betrachtet.
Caleb begleitet uns nicht zum nächsten Termin bei der Psychiaterin. Er sagt, er habe eine Besprechung, die er nicht absagen kann, aber ich glaube, das ist bloà ein Vorwand. Nach letzter Nacht sind wir uns aus dem Weg gegangen. AuÃerdem arbeitet Dr. Robichaud jetzt auch an der Gebärdensprache, bis Nathaniel seine Stimme wiederfindet, und Caleb ist gegen diese Strategie. Er meint, wenn Nathaniel soweit ist, wird er uns schon sagen, wer ihm das angetan hat, alles andere setzt ihn nur unnötig unter Druck.
Ich wünschte, ich hätte seine Geduld, aber ich kann nicht ruhig dasitzen und zusehen, wie Nathaniel sich quält. Ich werde den Gedanken einfach nicht los, daà für jeden Augenblick, den Nathaniel schweigt, jemand anderes hätte zum Schweigen gebracht werden müssen.
Heute haben wir die Zeichen für Nahrungsmittel durchgenommen â Müsli, Milch, Pizza, Eiscreme, Frühstück. Nathaniel darf sich aussuchen, was wir lernen. Er ist von den Jahreszeiten zu Lebensmitteln gesprungen, und jetzt blättert er schon wieder weiter.
»Bin gespannt, was als nächstes kommt â¦Â«, scherzt Dr. Robichaud.
Das Buch klappt auf einer Seite auf, die eine Familie zeigt. »O ja, das ist gut«, sage ich und probiere das Zeichen ganz oben aus â das F-Zeichen, bei dem man die Hand im Kreis vom Körper wegbewegt.
Nathaniel zeigt auf das Kind. »Das geht so, Nathaniel«, sagt Dr. Robichaud. »Junge.« Sie tut so, als würde sie den Schirm einer Baseballmütze berühren.
»Mutter«, fährt die Psychiaterin fort und hilft Nathaniel, die Hand zu öffnen, den Daumen seitlich ans Kinn zu legen und mit den Fingern zu wackeln.
»Vater.« Dasselbe Zeichen, nur daà der Daumen an die Schläfe gelegt wird. »Versuchâs mal«, sagt Dr. Robichaud.
Versuchâs mal.
All die dünnen, schwarzen Linien auf der Seite haben sich ineinander verschlungen, eine fette Schlange, die auf ihn zukommt, ihn am Hals packt. Nathaniel kann nicht mehr atmen. Er kann nicht mehr sehen. Er hört Dr. Robichauds Stimme von allen Seiten, Vater Vater Vater .
Nathaniel hebt die Hand, legt den Daumen an die Schläfe. Er wackelt mit den Fingern. Das Zeichen sieht aus, als würde er sich über jemanden lustig machen.
Es ist aber überhaupt nicht lustig.
»Nun sehen Sie sich das an«, sagt die Psychiaterin, »er ist schon besser als wir.« Sie will zum nächsten Zeichen übergehen, Baby . »Das machst du gut, Nathaniel«, sagt Dr. Robichaud. »Jetzt probier das hier mal.«
Aber Nathaniel reagiert nicht. Seine Hand ist fest an den Kopf gepreÃt, gräbt sich in seine Schläfe. »Schätzchen, du tust dir noch weh«, sage ich zu ihm. Ich greife nach
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