Die Macht des Zweifels
auf meinen FüÃen. »Was machst du denn?«
»Batman braucht doch eine Höhle, Mom.«
»Ach ja, stimmt.« Ich zog die Beine an, damit Nathaniel mehr Platz hatte, und ging einen Polizeibericht durch.
Es ging um einen Vergewaltigungsfall. Das Opfer war komatös in der Badewanne aufgefunden worden. Leider war der Täter so raffiniert gewesen, das Wasser aufzudrehen, so daà nahezu sämtliche forensischen Beweise vernichtet worden waren. Ich blätterte weiter in der Akte und starrte auf die grauenhaften Polizeifotos des Tatortes, das eingefallene bläuliche Gesicht der überfallenen Frau.
»Mom?«
Blitzschnell drehte ich die Fotos um.
»Hm?«
»Fängst du die Bösen immer?«
Ich dachte an die Mutter des Opfers, die vor lauter Weinen nicht in der Lage gewesen war, bei der Polizei eine Aussage zu machen. »Nicht immer«, entgegnete ich.
»Meistens?«
»Na ja«, sagte ich. »In der Hälfte der Fälle.«
Nathaniel dachte einen Moment darüber nach. »Ich glaube aber, das reicht, um ein Superheld zu sein«, sagte er. Leider hatte ich jetzt keine Zeit für solche Gespräche.
»Nathaniel«, seufzte ich, »du weiÃt, warum ich hier bin.« Um mich auf mein Eröffnungsplädoyer am Montag vorzubereiten. Um meine Strategie und meine Zeugenliste noch einmal durchzusehen.
Ich blickte in Nathaniels erwartungsvolles Gesicht und überlegte, ob man der Gerechtigkeit nicht am besten von einer Batman-Höhle aus dienen konnte. »Heiliges Kanonenrohr, Batman«, sagte ich, streifte mir die Schuhe ab und kroch unter den Schreibtisch. Hatte ich je festgestellt, daà die Unterseite aus billigem Kiefernholz bestand, nicht aus Mahagoni? »Robin meldet sich zum Dienst, aber nur, wenn ich das Batmobil fahren darf.«
»Du kannst nicht richtig Robin sein.«
»Ach, das hab ich aber gedacht.«
Nathaniel sah mich mitleidig an, als ob jemand in meinem Alter die Spielregeln des Lebens nun wirklich kapiert haben müÃte. In dem engen Raum unter dem Schreibtisch stieÃen unsere Schultern aneinander. »Wir können zusammen arbeiten, aber du muÃt Mom heiÃen.«
»Wieso denn?«
Nathaniel verdrehte die Augen. »Weil«, erklärte er mir, »du das nun mal bist.«
»Nathaniel!« rufe ich und erröte ein wenig. Es ist doch wohl keine Sünde, sein Kind nicht im Griff zu haben? »Verzeihen Sie, Pater«, sage ich und halte die Tür weit auf, um ihn hereinzulassen. »Er ist in letzter Zeit ein biÃchen ⦠schüchtern, wenn Besuch kommt.«
Pater Szyszynski lächelt mich an. »Ich hätte vielleicht lieber vorher anrufen sollen, als einfach so hereinzuschneien.«
»Aber nein. Nein. Schön, daà Sie da sind.« Das ist gelogen. Ich habe keine Ahnung, was ich mit einem Geistlichen im Haus anfangen soll. Biete ich ihm Kekse an? Ein Bier? Entschuldige ich mich für all die Sonntage, an denen ich nicht in der Messe war? Beichte ich ihm, daà ich ihn angelogen habe?
»Tja, es ist mein Beruf«, sagt Pater Szyszynski, tippt sich an den Kragen und lächelt freundlich. Er setzt sich auf die Couch im Wohnzimmer.
Pater Szyszynski trägt hochmoderne Joggingschuhe. Er macht beim hiesigen Halbmarathon mit; seine Zeiten hängen am Schwarzen Brett in der Kirche, gleich neben den Zetteln, auf denen um Fürbitten gebeten wird. Dort hängt sogar ein Foto von ihm, schlank und durchtrainiert, ohne seinen Priesterkragen, wie er eine Ziellinie überquert. Er ist über Fünfzig, aber er wirkt zehn Jahre jünger.
Ich frage mich, durch welches neugierige Geschwätz in der kirchlichen Gerüchteküche er von uns erfahren hat. »Die Sonntagsschulklasse vermiÃt Nathaniel«, sagt er zu mir. Er drückt sich vorsichtig aus. Er könnte auch sagen, daà die Sonntagsschulklasse Nathaniel an den meisten Sonntagen im Jahr vermiÃt, weil wir nicht regelmäÃig zur Messe kommen. Doch ich weiÃ, daà Nathaniel gern im Untergeschoà mit den anderen Kindern Bilder malt, während die Erwachsenen im Gottesdienst sind. Und besonders toll findet er es, wenn Pater Szyszynski anschlieÃend aus einer groÃen, alten, bebilderten Kinderbibel vorliest, während die Erwachsenen oben Kaffee trinken. Er setzt sich mitten im Kreis der Kinder auf den Boden und spielt Ãberschwemmungen und Seuchen und Prophezeiungen nach.
»Ich weiÃ, was Sie denken«,
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