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Die Macht des Zweifels

Titel: Die Macht des Zweifels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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»Stimmt.«
    Â»Und was kommt danach?«
    Sie hebt mich hoch und setzt mich auf den Beckenrand. Der Waschtisch fühlt sich warm an, da, wo der Föhn gelegen hat. Sie überlegt einen Moment. »Nach Liebhaben«, sagt sie, »kommt, eine Mama zu sein.«

5
    Früher einmal wollte ich die Welt retten. Naiv, wie ich war, glaubte ich ernsthaft, daß ich als Staatsanwältin einmal die Chance haben würde, die Welt vom Bösen zu befreien. Doch da wußte ich noch nicht, daß man bei fünfhundert laufenden Fällen versucht, möglichst viele per Absprache zu entscheiden. Da wußte ich noch nicht, daß Gerechtigkeit weniger von einem Schuldspruch als von Überzeugungskraft abhängt. Da wußte ich noch nicht, daß ich mich nicht für einen Kreuzzug entschieden hatte, sondern nur für einen Job.
    Dennoch wäre ich nie auf die Idee gekommen, Verteidigerin zu werden. Der Gedanke, mich hinzustellen und für einen moralisch verdorbenen Kriminellen zu lügen, war mir unerträglich, und für mich waren nun mal die meisten Angeklagten schuldig, solange nicht ihre Unschuld bewiesen war. Doch als ich jetzt in Fisher Carringtons holzgetäfelter Luxuskanzlei sitze und von seiner adretten Sekretärin jamaikanischen Kaffee für dreißig Dollar das Pfund gereicht bekomme, ahne ich allmählich, wo die Vorteile liegen.
    Fisher kommt heraus, um mich zu begrüßen. Seine PaulNewman-blauen Augen blitzen, als wäre er hoch erfreut, mich in seinem Vorzimmer zu sehen. Warum sollte mich das wundern? Er weiß, er könnte mir einen Arm in Rechnung stellen, und ich würde bezahlen. Er hat die Chance, an einem aufsehenerregenden Mordprozeß zu arbeiten, der ihm jede Menge Popularität und neue Mandanten bescheren wird. Und schließlich bietet sich ihm eine Abwechslung von den üblichen Fällen, die er inzwischen im Schlaf bearbeitet.
    Â»Nina«, sagt er, »ich freue mich.« Als hätten wir uns nicht vor weniger als vierundzwanzig Stunden im Gefängnis gesehen. »Kommen Sie doch mit in mein Büro.«
    Auch hier edle Wandtäfelung, ein Männerzimmer, das den Duft von Zigarrenrauch und Cognac heraufbeschwört. In den Regalen stehen die gleichen Bücher mit Gesetzestexten wie in meinem Büro, und irgendwie finde ich das tröstlich.
    Â»Wie geht es Nathaniel?«
    Â»Gut.« Ich nehme in einem wuchtigen Ledersessel Platz und lasse den Blick schweifen.
    Â»Er ist bestimmt froh, daß seine Mutter wieder zu Hause ist.«
    Jedenfalls froher als sein Vater, denke ich. Meine Aufmerksamkeit richtet sich auf eine kleine Picasso-Skizze an der Wand. Keine Lithographie – das Ding ist echt.
    Â»Was denken Sie?« fragt Fisher, als er sich mir gegenübersetzt.
    Â»Daß der Staat mich zu schlecht bezahlt.« Ich sehe ihn an. »Danke, daß Sie mich gestern rausgeholt haben.«
    Â»So gern ich das Kompliment annehmen würde, das war ein unerwartetes Geschenk, und das wissen Sie auch. So viel Milde hatte ich nicht erwartet.«
    Â»Das war wohl auch ein einmaliges Geschenk.« Ich spüre seinen Blick auf mir ruhen, prüfend. Im Vergleich zu meinem Verhalten bei unserem gestrigen Treffen bin ich heute viel beherrschter.
    Â»Fangen wir an«, schlägt Fisher vor. »Haben Sie vor der Polizei eine Aussage gemacht?«
    Â»Die haben mich gefragt. Ich habe wiederholt gesagt, daß ich alles getan habe, was ich tun konnte. Daß ich nicht mehr tun könnte.«
    Â»Wie oft haben Sie das gesagt?«
    Â»Immer und immer wieder.«
    Fisher legt seinen Waterman-Füllhalter beiseite und faltet die Hände. Seine Miene ist eine eigentümliche Mischung aus morbider Faszination, Respekt und Resignation. »Sie wissen genau, was Sie tun«, stellt er fest.
    Ich betrachte ihn über den Rand meiner Kaffeetasse. »Das wollen Sie doch nicht wirklich wissen.«
    Grinsend lehnt Fisher sich zurück. Er hat Grübchen, zwei in jeder Wange. »Haben Sie Schauspielunterricht genommen, bevor Sie sich auf Jura verlegt haben?«
    Â»Klar«, sage ich. »Sie etwa nicht?«
    Er möchte mir so viele Fragen stellen; ich sehe ihm förmlich an, daß er sich nur mit Mühe im Zaum halten kann. Ich kann es ihm nicht verdenken. Mittlerweile weiß er, daß ich nicht verrückt bin; er weiß, für welches Spiel ich mich entschieden habe.
    Â»Wieso haben Sie mich engagiert?«
    Â»Weil Geschworene Sie lieben.

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